Beispielbild für Mitsprache und Bürgerbeteiligung. Die "Meine Stadt besser machen"-Projekte der Körber-Stiftung wollen beides stärken.
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„Meine Stadt besser machen“: Bürgerbeteiligung und Demokratie aus der Gesellschaft heraus fördern

Für die Körber-Stiftung ist es ein wichtiges Anliegen, Bürgerbeteiligung und Demokratie zu stärken. Seit 2019 setzt die Stiftung daher mit lokalen Partnern in verschiedenen Städten und Regionen „Meine Stadt besser machen“-Projekte um – so auch in der Stadt Halle/Saale. Mitte Juni 2020 wurde dort das Projekt „Halle besser machen“ in Kooperation mit der Bürgerstiftung Halle gestartet. Das Besondere: Die Projekte entstehen aus der Zivilgesellschaft heraus. Sven Tetzlaff ist bei der Körber-Stiftung Leiter des Bereiches „Demokratie, Engagement, Zusammenhalt“. Wir haben mit ihm über die Ziele der „Meine Stadt besser machen“-Projekte, über Bürgerbeteiligung vor Ort und digital, über Aktivierung sowie über Demokratie gesprochen.

Foto von Sven Tetzlaff, Körber-Stiftung
Sven Tetzlaff ist Leiter des Bereiches „Demokratie, Engagement, Zusammenhalt“ bei der Körber-Stiftung. Bild: © Claudia Höhne.

Seit gut 2 Monaten läuft das Projekt „Halle besser machen“. Wie kam es zu diesem Projekt? Und was ist Ihr Ziel?

Sven Tetzlaff: Das Projekt „Halle besser machen“ führen wir mit der Bürgerstiftung Halle durch. Es ist mittlerweile die fünfte Stadt, in der das 2019 entwickelte Format stattfindet. Wir waren im letzten Jahr auf der Suche nach Partnern, um das Projekt „Hamburg besser machen“, das wir mit der ZEIT durchgeführt haben, auch in anderen Städten laufen zu lassen. Zu Beginn des Jahres haben wir dann zunächst mit der Brost-Stiftung „Ruhrgebiet besser machen“ in Oberhausen, Bottrop und Herne gestartet. Als wir beim Bündnis der Bürgerstiftungen Deutschlands weitere Partner suchten, trafen wir auch dort auf positive Resonanz. So hat sich die Bürgerstiftung Halle für den Ansatz des aufsuchenden Bürgerdialogs begeistern lassen und ist mit uns eine Kooperation eingegangen.

Für uns ist das eine sehr wertvolle Erfahrung, nun auch in einer Großstadt in Sachsen-Anhalt mit diesem Beteiligungsformat aktiv zu sein. Wir sind gespannt, in welche Richtungen die Vorschläge dort im Vergleich beispielsweise zum Ruhrgebiet gehen.

In wieweit ist die Kommune, in dem Falle die Stadt Halle, selbst mit eingebunden?

S.T.: Die Kommune ist informiert und soll möglichst auch in den Ablauf aktiv eingebunden sein. Die Gespräche und Abstimmungen in Halle laufen noch. Man muss aber sehen: Das Format „Meine Stadt besser machen“ ist aus der Zivilgesellschaft heraus entwickelt worden als bottom-up-Projekt. Und so haben es in Hamburg beispielsweise die Bürgerinnen und Bürger sehr wertgeschätzt, zunächst ohne die Einbeziehung von staatlichen Stellen eigene Ideen entwickeln und diskutieren zu können. Dort haben wir zu Beginn die Politik und Verwaltung über das Vorhaben informiert und am Ende haben sich die Regierungsvertreter mit den Ergebnissen befasst.

Wichtig ist uns, dass sich Kommunen in geeigneter Form involvieren und natürlich wünschen wir uns auch konkrete Umsetzungen der Vorschläge. Das können Stiftungen allerdings nicht erzwingen, sie können nur dafür werben. Wir setzen an allen Orten darauf, dass die Kommunen das große Potenzial der Einbeziehung von Bürgervorschlägen in die Entwicklung von Zukunftsstrategien erkennen und sich aktiv in diesen Prozess mit einbringen.

Screenshot der Beteiligungsplattform von "Halle besser machen". Die Online-Beteiligung wurde in Kooperation mit der wer denkt was GmbH umgesetzt.
Ziel des Projektes „Halle besser machen“ ist es, gemeinsam Ideen für ein besseres Miteinander zu entwickeln und miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei werden Vor-Ort-Beteiligung und Online-Beteiligung mit einander kombiniert. Bild: hallebessermachen.de

Nach „Halle besser machen“ ist kürzlich auch „Vorpommern besser machen“ gestartet. Stendal und Forst folgen im September. Wonach richtet es sich, in welcher Stadt oder Region ein solches Projekt umgesetzt wird?

S.T.: Wir brauchen immer Partner aus der Zivilgesellschaft vor Ort, die das Beteiligungsprojekt in Kooperation mit uns durchführen können. Ihre Kenntnis der regionalen Voraussetzungen, der Netzwerke, der bisherigen Beteiligungserfahrungen, der Bürgerfreundlichkeit kommunaler Stellen, möglicher weiterer Partner und Unterstützer sind unerlässlich. Wir begrüßen es darüber hinaus besonders, wenn die Partner vor Ort mit den Themen aus dem Beteiligungsprozess mittel- und längerfristig weiterarbeiten wollen. Denn es soll kein Strohfeuer entfacht, sondern eine nachhaltige Beschäftigung mit den Bürgerideen initiiert werden. Wichtig ist, dass der Partner vor Ort das gleiche Verständnis des Beteiligungsansatzes hat wie wir.

Wir arbeiten mit dem Prinzip AGATE: Aufsuchend, Gemeinwohlorientiert, Analog und digital, Themenoffen und Engagementstärkend. Wenn ein solcher Partner gefunden ist, steuern wir unser Know-How, die digitale Plattform und konkrete Unterstützungsmaßnahmen gerne bei. Unser Ziel ist jetzt am Anfang dieses jungen Formats, es in verschiedenen geografischen Regionen in Deutschland durchzuführen – sowohl in Städten unterschiedlicher Größe als auch im ländlichen Raum. Auf diese Weise möchten wir wertvolle Erfahrungen der Umsetzung unter verschiedenen Bedingungen sammeln.

Das Pionier-Projekt war 2019 „Hamburg besser machen“. Wie war die dortige Resonanz?

S.T.: Die Resonanz bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei der Politik war beeindruckend. Gemeinsam mit der ZEIT ist es uns gelungen, während der 10 Wochen Laufzeit über 40 Kneipengespräche mit mehr als 750 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (darunter rund 100 Kinder und Jugendliche sowie 30 Arabisch und Persisch sprechende Einwohner) durchzuführen. Rund 4.500 Vorschläge wurden intensiv diskutiert. Hinzu kamen die Beteiligten auf der Plattform, wir hatten phasenweise 20.000 Besucher. Zu den Hauptwünschen wie dem Umbau zur fahrradfreundlichen Stadt und der Einrichtung autofreier Quartiere haben wir Workshops mit Politik und Verwaltung sowie öffentliche Diskussionsveranstaltungen durchgeführt. Wenn man sich anschaut, wie die Koalitionsvereinbarung der neuen Regierung ausgefallen ist, hat man den Eindruck, dass vieles davon bei »Hamburg besser machen« bereits vorgedacht und diskutiert worden ist. Mit unseren Veranstaltungsreihen im KörberForum wie Hamburg 2030 bleiben wir auch jetzt an den Themen, zu denen spannende Vorschläge kamen, dran.

Bei „Meine Stadt besser machen“ setzen Sie auf eine Kombination von Online- und Offline-Elementen. Wie würden Sie den jeweiligen Stellenwert bewerten?

S.T.: Für uns ist klar, dass eine Onlinebeteiligung die Präsenzveranstaltungen nicht ersetzen kann. Die Diskussion von Ideen und Vorschlägen vor Ort in Form aufsuchender Beteiligung hat deshalb die größere Priorität. Daher verfolgen wir – in diesen Zeiten womöglich etwas überraschend – den Ansatz „analog first“. Aber das heißt nicht, sich allein auf klassische Versammlungsformate zu beschränken und die Möglichkeiten digitaler Instrumente nicht zu nutzen. Aus unserer Sicht bietet die Onlineplattform ein ganzes Bündel an wertvollen Vorteilen. Das ist zum einen der niedrigschwellige Zugang für diejenigen, die nicht vor Ort teilnehmen wollen oder können. Gerade junge und internetaffine Teilnehmende wollen online aktiv sein. Der ganze Prozess lässt sich darüber hinaus über die Plattform gut dokumentieren und visualisieren. Und über Möglichkeiten wie ein Community-Voting lassen sich Prozesse der Präferenzermittlung viel leichter und schneller und mit größerer Reichweite organisieren als analog.

Auch wenn uns die Vor-Ort-Gespräche besonders am Herzen liegen, sehen wir noch ganz viel Entwicklungspotenzial bei den Onlinetools, die wir zusammen mit wer|denkt|was weiterentwickeln wollen.

Screenshot der interaktiven Karte, auf der die Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen für ein besseres Halle eintragen können.
Wichtiger Bestandteil der Online-Plattformen bei „Halle besser machen“ sowie „Vorpommern besser machen“ sind digitale Ideenkarten. Auf ihnen können die Bürgerinnen und Bürger ihre Vorschläge direkt verorten und eintragen. Sie können darüber hinaus Ideen anderer unterstützen und ihnen mehr Gewichtung geben. Bild: hallebessermachen.de

Die Körber-Stiftung setzt sich für eine lebendige Bürgergesellschaft und die Stärkung der Demokratie ein. Wie hängen für Sie die Begriffe „lebendige Bürgergesellschaft“ und „Demokratie“ zusammen?

S.T.: Bei „lebendiger Bürgergesellschaft“ denken wir in erster Linie an aktive, freie und verantwortliche Menschen, die bei aller individuellen Autonomie und Pluralität ihrer Vorstellungen dennoch etwas Gemeinsames im Blick haben, nämlich das Gemeinwohl aller. Es geht somit um das Streben nach einem guten Zusammenleben. Demokratie erschöpft sich in unseren Augen nicht im parlamentarischen System und in Wahlen. Erst durch Partizipation und Beteiligung an möglichst vielen Stellen wird sie erfahr- und erlebbar. Das halten wir für sehr wichtig. Nur wenn Menschen gehört werden, sich beteiligen und mitgestalten können, werden sie die Demokratie für sich auch wirklich wertschätzen. Gleichwohl gehört dazu auch die Fähigkeit, zugunsten des Gemeinwohls Kompromisse einzugehen. Und dann kommt die lebendige Bürgergesellschaft ins Spiel, die es braucht, um den Austausch über einen Konsens auf konstruktive Weise stattfinden lassen zu können.

Die Aktivierung der Bürgerinnen und Bürger ist immer eine Herausforderung, wenn es um Bürgerbeteiligung geht. Wie schaffen Sie es, die unterschiedlichsten Zielgruppen zum Mitmachen zu bewegen?

S.T.: Wir setzen mit unseren Partnern dort, wo es möglich ist, auf Medienpartnerschaften. So wollen wir die Reichweite des Vorhabens erhöhen und für eine Beteiligung werben. Wichtig ist auch, die Netzwerke lokaler Partner und die Stadtgesellschaft zu aktivieren. Das bedeutet, bevor das Projekt startet, braucht es eine vorgeschaltete Phase Null, in der alle relevanten Multiplikatoren und Organisationen vor Ort über das Vorhaben informiert werden. Manchmal ist es auch notwendig, online oder offline Werbung zu schalten und auf möglichst vielen Kanälen Präsenz zu zeigen. Besonders bewährt haben sich insbesondere die Ausbildung von ehrenamtlichen Moderatoren und die Aktivierung von Netzwerken. Wenn es gelingt, beispielsweise Stadtteilmanager, Integrationsbeiräte, Engagierte aus Vereinen oder von NGOs, Beauftragte bestimmter benachteiligter Gruppen oder auch Schul- und Jugendnetzwerke anzusprechen und zu gewinnen, wird sich die Teilnehmerschaft an dem Projekt deutlich besser mischen und die Stadtgesellschaft besser repräsentiert.

Beispielbild dafür, dass die "Meine Stadt besser machen"-Projekte die unterschiedlichsten Zielgruppen ansprechen und an einen Tisch holen sollen.
Durch Partnerschaften mit lokalen Netzwerken, Organisationen vor Ort sowie Medien versucht die Körber-Stiftung eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen. So will man unterschiedlichste Zielgruppen ansprechen und auf die „Meine Stadt besser machen“-Projekte aufmerksam machen. Bild: © geralt, pixabay.com

Die „Meine Stadt besser machen“-Projekte sind nicht die einzigen Projekte, die die Körber-Stiftung angestoßen hat. Welche weiteren Projekte zur Lebendigen Bürgergesellschaft unterstützen Sie?

S.T.: Mit unseren Programmen, Netzwerken und Veranstaltungen wollen wir Menschen dabei unterstützen, sich über die Zukunft des Zusammenlebens zu verständigen, die alternde Gesellschaft zu gestalten und der Demokratie Impulse zu geben. Wir bestärken Menschen darin, das Gemeinwesen mitzugestalten und wir machen ihre Potenziale sichtbar. So fördern wir beispielsweise mit dem Zugabe-Preis den Gründergeist der Älteren, begleiten mit Stadtlabor demografische Zukunftschancen kommunale Politik und Verwaltung auf ihrem Weg zur demografiefesten Stadt. Wir bauen im Bundesprogramm Engagierte Stadt Netzwerke für lokales Engagement oder geben Menschen im Exil mit Projekten wie den Tagen des Exils, dem Exile Media Forum, Amal, Hamburg! oder künstlerischen Produktionsresidenzen auf Kampnagel eine Stimme.

 

Sven Tetzlaff ist Sozial- und Wirtschaftshistoriker und leitet seit 2018 den Bereich „Demokratie, Engagement, Zusammenhalt“ der Körber-Stiftung, Hamburg. Zuvor war er dort über 10 Jahre für die historisch-politischen Projekte wie den „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“ verantwortlich. Seit 2011 engagiert er sich zudem als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung.

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