Die Verbraucher-Milch von "Du bist hier der Chef" in einem Supermarktregal
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„Du bist hier der Chef!“: Bürgerbeteiligung der KonsumentInnen

Bürgerbeteiligung im politischen Kontext ist mittlerweile selbstverständlich. Ganz anders sieht es bei der Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger bei Produkten des täglichen Lebens aus. Die Initiative „Du bist hier der Chef!“ will genau das ändern. Sie stellt die Mitbestimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt. Die ursprünglich aus Frankreich stammende Initiative hat nun mit einer Bio-Milch das erste Produkt in die deutschen Supermärkte gebracht, das auf den Wünschen der Verbraucher basiert. Über die Besonderheiten dieser Mitwirkung und Mitbestimmung haben wir in einem Interview mit Nicolas Barthelmé, dem Initiator, gesprochen.

Nicolas Barthelmé, der Initiator der Initiative "Du bist hier der Chef" trinkt ein Glas der Verbraucher-Milch. Sie ist seit 20. Juli im Handel erhältlich.
Initiator Nicolas Barthelmé genießt die Verbraucher-Milch. Quelle: „Du bist hier der Chef! Die Verbrauchermarke“

Nicolas, es heißt doch immer, dass der Markt den Verbraucherwünschen folgt. Wieso braucht es die Initiative „Du bist hier der Chef“?

Nicolas Barthelmé: Das was fehlt, ist Vertrauen in das Produkt. Die Verbraucher sehen zwar die Preise, aber nicht, was dahinter steckt. Sie sehen nicht, ob bei dem teureren Produkt mehr bei den Landwirten ankommt oder nicht. Wo geht das Geld hin und was ist das System, das ich mit jedem Kauf unterstütze? Diese Transparenz ist das, was wir nun anbieten und das ist komplett neu. Wir bieten eine glaubwürdige Alternative. Transparenz und Mitwirkung bilden Vertrauen. Vertrauen führt zu Wertschätzung für die Produkte und für die Menschen, die daran beteiligt sind. Damit gibt es auch eine höhere Preisbereitschaft bei den Verbrauchern. Wenn die Landwirte, Erzeuger oder Produzenten dann vernünftig und fair bezahlt werden, haben sie die Chance, auch nachhaltig und weniger auf Kosten der Tiere zu wirtschaften.

Wie funktioniert die Beteiligung bei „Du bist hier der Chef“?

N.B.: Es geht uns um Transparenz und Mitbestimmung, daher lassen wir von Verbrauchern Produkte wählen. Wir fragen im Vorfeld bei den Verbrauchern an, welche Kriterien ihnen grundsätzlich wichtig sind, nehmen dann Kontakt auf zu den Landwirten. Mit unseren Partnern strukturieren wir anschließend 6-10 Fragen zu den verschiedenen Kriterien und bepreisen diese. Dabei beziehen wir ein: Was bedeutet ein kostendeckender Preis bei konventioneller oder Bio-Landwirtschaft? Wie liegt der Marktpreis dazu? Wir bringen es auf die Webseite und lassen dann die Leute ihr bevorzugtes Produkt konfigurieren – inklusive einer Preisberechnung.

Unser Ziel ist es, für jedes Produkt mindestens 5.000 Meinungen zu bekommen. Bei der Milch haben wir fast das Doppelte bekommen. Das ist für uns ein klares Zeichen, dass die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Thematik da ist. Die Auswertung und alle Ergebnisse werden transparent auf der Webseite veröffentlicht. Anschließend an die Befragung werden die Betriebe ausgewählt, die Verpackung fertig gemacht, Gespräche mit dem Handel geführt. Mit unserem ersten Produkt, der Milch, sind wir seit 20. Juli 2020 am Markt und schon sehr erfolgreich.

Die Verbraucher-Milch von "Du bist hier der Chef" auf dem Kassenband in einem Supermarkt
Seit dem 20. Juli 2020 ist die Milch im Einzelhandel erhältlich. Quelle: „Du bist hier der Chef! Die Verbrauchermarke“

Was passiert denn, wenn keine klare demokratische Mehrheit zustande kommt, also beispielsweise zwei Lager mit sehr unterschiedlichen Wünschen erkennbar sind?

N.B.: Ich hatte zum Beispiel erwartet, dass die Meinungen bei konventioneller und Bio-Milch weit auseinandergehen und war selbst etwas überrascht, dass Bio zu 85% gewählt wurde. Von daher war das sehr klar. Aber wir hatten uns schon überlegt, dass wir im Zweifelsfall zwei verschiedene Produkte an den Markt bringen, um beide Zielgruppen zu bedienen. Das einzige, was für uns Voraussetzung war und bleibt, ist die faire Vergütung der Landwirte. Unfaire Produkte gibt es bereits wie Sand am Meer, da brauchen wir nicht noch ein weiteres Produkt auf den Markt zu bringen.

Warum ist die Milch das erste Produkt, das auf den Markt kommt?

N.B.: Mit diesem Produkt kann man viele Themen, die für uns als Initiative wichtig sind, behandeln. Dazu gehören Tierwohl, regionale Bio-Produktion, Naturschutz, Fairness für die Landwirte und das Problem, dass die Milchbauern schon seit Jahren geknebelt werden. Es ist gut, wenn wir die Leute dort abholen, wo sie bereits ein bisschen Vorwissen haben. Wir arbeiten aber schon an den nächsten Produkten. Welche das sein werden, darüber entscheiden die Menschen selbst im „Produktvoting“. Eier, Kartoffeln, Mehl, Honig – das sind die Produkte, die aktuell ganz oben auf der Wunschliste der Verbraucher stehen und die wir nach und nach angehen werden.

Gruppenbild all jener Menschen, die hinter der Verbraucher-Milch von "Du bist hier der Chef" stehen. Sie gehören zu den 13 Milchbetrieben und der Molkerei, mit denen das Projekt gestartet ist.
Diese Menschen stehen hinter der Milch: Sie gehören zu den 13 Milchbetrieben und der Molkerei, mit denen die „Du bist hier der Chef!“-Milch gestartet ist. Quelle: „Du bist hier der Chef! Die Verbrauchermarke“

Wie hat sich die Pandemie auf „Du bist hier der Chef“ ausgewirkt?

N.B.: Corona hat uns einige Zeit gekostet, weil wir dadurch auch einige Vertriebstermine mit dem Handel nicht durchführen konnten. Auf der anderen Seite hat es den Blick vieler Verbraucher für bestimmte Themen geschärft, etwa auch durch das Beispiel Tönnies: Es wurden Sachverhalte aufgedeckt, die nicht schön sind, aber die schon lange so sind und bisher toleriert wurden. Plötzlich werden solche Missstände gesehen. Das birgt für uns die Chance, das nach und nach zu verändern.

Was ist aktuell in dieser Phase das wichtigste Kommunikationsinstrument für euch?

N.B.: Natürlich brauchen wir den Fragebogen, um die Verbraucher zu beteiligen. Jetzt, wo die Milch am Markt ist, ist der Store-Finder ein Glücksgriff. Mit diesem Tool kann ich als Konsument schauen, in welchem Laden in meiner Nähe ich die Milch bekomme. Wenn sie nicht verfügbar ist, kann der eigene Lieblingsmarkt über die Plattform per Mail, Tweet oder Facebook-Nachricht angeschrieben und eine Listung der Milch angefragt werden. Über den Store-Finder hatten wir bereits in den ersten zwei Wochen über 1.000 Anfragen. Dadurch können wir auch ein Gespür bekommen, in welchen Gebieten größeres Interesse besteht und es gibt zusätzlich einen Impuls an andere Handelsketten. Wir wollen mit unserer Initiative ja auch die Verbraucher ermächtigen. Das geht mit diesen Tools hervorragend, denn die Menschen kommen mit den Märkten in Kontakt. Das ist eine Dimension, die wir zunächst gar nicht bedacht hatten, aber das gefällt uns natürlich.

Es gibt bei euch die verschiedensten Beteiligungsmöglichkeiten. Die Fragebögen auszufüllen ist eine davon, Märkte direkt zu kontaktieren eine andere. Doch darüber hinaus habt ihr auch Vereinsmitglieder. Was hat es damit auf sich?

N.B.: Vereinsmitglieder können sich noch stärker bei uns einbringen. Sie begleiten uns in ihrer Rolle als Verbraucher bei wichtigen Terminen mit Landwirten oder beim Handel. Sie können dabei einen Blick hinter die Kulissen werfen. Aber sie haben dann auch klar die Aufgabe, ihre Meinung in diesen Gesprächen zu äußern als Fürsprecher der Verbraucher.

 

Das Konzept von „Du bist hier der Chef!“ scheint aufzugehen: Die Milch kostet 1,45 € und steht seit dem 20.7.2020 in mittlerweile ca. 630 Rewe- und tegut-Märkten im Kühlregal. Gestartet in Hessen, Rhein-Main und Umgebung wächst das Gebiet von Woche zu Woche. Bereits nach einem halben Tag waren einige Märkte ausverkauft. Auf Basis der großen Nachfrage sollen in Kürze weitere Milchbetriebe mit ins Programm aufgenommen werden. Eine zentrale Rolle spielen bei „Du bist hier der Chef!“ aber auch die digitalen Möglichkeiten zur Kommunikation und Partizipation. Sie sorgen für Transparenz und die nötige Information, die sich die Verbraucher wünschen.

Dabei bieten sich für die Verbraucher verschiedene Stufen und Intensitäten der Mitwirkung und des Mitmachens. Viele Menschen wurden durch Berichte im Fernsehen und in den Sozialen Medien auf das Produkt aufmerksam. Sie liken, teilen, machen Freunde und Familie darauf aufmerksam und greifen im Idealfall selbst im Laden nach der „Du bist hier der Chef!“-Milch. Andere wiederum wenden sich über den von wer|denkt|was entwickelten Store-Finder direkt an die Märkte ihrer Wahl, um das Produkt zukünftig dort kaufen zu können. Wieder andere nehmen am Produktvoting teil oder machen bei der Befragung rund um die Kriterien für das nächste Produkt mit.