Digitale Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung
Allgemein, Best Practice, Stadtentwicklung

Digitale Tools für die Stadt von morgen

Zahlreiche wichtige Entscheidungen zur Gestaltung der Stadt von morgen finden in der kommunalen städtebaulichen Entwicklung statt. Ob Umgestaltung, Neugestaltung, Nachverdichtung oder klimafreundliche Anpassungsstrategie in der Stadt – eine bloße Information von Anwohnerinnen und Anwohnern, Interessierten und Einpendelnden reicht in der heutigen Zeit schon lange nicht mehr aus. Vielmehr geht es um einen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Sie sollten frühestmöglich in die Planungen eingebunden werden. Wie dies erfolgreich gelingt und Vor-Ort-Veranstaltungen geschickt mit Online-Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung verbunden werden können, zeigt Theresa Lotichius, Geschäftsführerin der wer denkt was GmbH, in diesem Beitrag.

Ergebnisoffener Dialog mit klaren Regeln als Prämisse

Stadtentwicklungsprojekte sind komplex, vielschichtig und unterliegen vielen rechtlichen Bestimmungen. Zudem sind sie für eine große Anzahl an Betroffenen interessant und relevant. Dies zeigt sich auch in der Erwartungshaltung und der Notwendigkeit, alle Beteiligten mit einzubinden. Nicht nur Anwohnerinnen und Anwohner müssen an Umgestaltungsprozessen beteiligt werden. Auch Gewerbetreibende, Verbände, Vereine und andere Stakeholder haben ein berechtigtes Interesse an der Zukunft ihrer Stadt. Umso früher eine Kommune (möglichst viele) Gruppen einbindet, desto eher kann sie unterschiedliche Bedürfnisse und Interessenlagen erfassen und berücksichtigen. Das steigert auf der einen Seite die Qualität des Ergebnisses. Auf der anderen Seite wächst so die Zufriedenheit aller Beteiligten mit dem Ergebnis.

Beispielbild für eine Vor-Ort-Veranstaltung zur Stadtentwicklung.
Bei Projekten der Stadtentwicklung ist es ratsam, frühzeitig Bürgerinnen und Bürger sowie weitere Interessengruppen an einen Tisch zu holen. Das steigert die Qualität und die Akzeptanz der getroffenen Maßnahmen. Bild: © wer denkt was GmbH

Crossmediale Beteiligungsangebote in Zeiten der Digitalisierung

Die Stadtplanung und -entwicklung bietet schon seit Jahrzehnten Bürgerbeteiligung als Bestandteil ihrer Prozesse und Konzepte an. Interaktive Plattformen und Apps sind jedoch noch relativ neue Instrumente in diesem Bereich. In der Auseinandersetzung mit diesen Tools zeigt sich schnell: Bürgerbeteiligung ausschließlich online abzubilden macht insbesondere in der Stadtentwicklung, die sich ja mit den öffentlichen Räumen vor Ort beschäftigt, nur wenig Sinn.

Ziel muss daher eine gelungene Verschränkung von Formaten online und vor Ort sein.

Ein best practice für eine solche Verschränkung findet sich beispielsweise in der Stadt Lampertheim. Deren Beteiligungsprozess im Rahmen des Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (ISEK) wurde vom Land Hessen als gutes Beispiel für Bürgerbeteiligung in der nachhaltigen Stadtentwicklung ausgezeichnet. Besonders positiv wurde in Lampertheim die enge Verschränkung zwischen den Formaten bewertet. Der Stadtteilspaziergang wurde online dokumentiert und weitergeführt. Die in Workshops und Expertengruppen vor Ort erarbeiteten Maßnahmen wurden darüber hinaus nicht nur online dargestellt, sondern auch kommentiert und ergänzt. In jedem Prozessschritt hatten alle Interessierten also noch einmal die Gelegenheit, sich einzubringen, auch wenn sie nicht vor Ort mitgewirkt hatten. Ein Vorzeigebeispiel also für die Verknüpfung von Offline-Formaten und Online-Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung.

Ideenkarte Lampertheim. Auf dieser Karte wurden alle Ideen festgehalten, die im Rahmen eines Stadtteilspaziergangs benannt wurden. Zusätzlich konnten Ideen nachträglich auf der Bürgerbeteiligungsplattform der Stadt Lampertheim (sags-doch-mol.de) eingetragen und kommentiert werden.
Auf dieser Karte wurden alle Ideen festgehalten, die die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen eines Stadtteilspaziergangs in Lampertheim genannt hatten. Zusätzlich konnten sie weitere Ideen nachträglich auf der Bürgerbeteiligungsplattform der Stadt Lampertheim (sags-doch-mol.de) auf der Karte eintragen sowie Ideen kommentieren. © sags-doch-mol.de

Vorteile der Online-Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung

Eine Online-Bürgerbeteiligung kann eine kostengünstige Ergänzung zu Präsenzveranstaltungen darstellen. Sie kann damit auch solche Personen erreichen, die beispielsweise familiär oder beruflich stark eingebunden sind und Termine vor Ort nicht oder nur schwer wahrnehmen können. Neben der zeit- und ortsunabhängigen Beteiligungsmöglichkeit bietet eine Onlineplattform oder App aber auch die Möglichkeit, Informationen in unterschiedlichen Detailstufen aufzubereiten. So kann die Stadt oder Gemeinde für alle Interessierten den richtigen Grad an Informationstiefe bereitstellen. Darüber hinaus ist es mit einer solchen Plattform möglich, bisherige Schritte, Veranstaltungen und Ergebnisse zu dokumentieren. Dadurch können sich auch Späteinsteiger nachträglich „einlesen“.

Wo und wann macht Online-Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung Sinn?

Für Prozesse der Stadtplanung und -entwicklung zeigen sich zwei idealtypische Anwendungsfelder und geeignete Zeitpunkte für interaktive Beteiligungsformate:

1) Zu einem frühen Zeitpunkt in der Zieldiskussion eines Prozesses kann eine Kommune erste Ideen, Ziele und Wünsche der Bürgerschaft abfragen. Dies lässt sich beispielsweise über offene text- oder kartenbasierte Beteiligungsverfahren oder über Umfragen umsetzen. Wichtig ist hier die Offenheit des Verfahrens bei gleichzeitiger Strukturierung. Über die Spielregeln muss festgelegt werden, dass es sich trotz aller Offenheit nicht um ein allgemeines „Wunschkonzert“ handelt.

Beispiel für eine textbasierte Bürgerbeteiligung. Hier ging es um den Radverkehr in Heidelberg.
Beispiel für ein textbasiertes Beteiligungsverfahren. Hier ging es um den Radverkehr in Heidelberg. © wer denkt was GmbH

 

Im Vorfeld von Stadtumbauprojekten empfehlen sich häufig Bürgerumfragen. So lassen sich die Wünsche der Bürger bei der Planung besser berücksichtigen. So ist z.B. die Stadt Alsfeld bei der Umgestaltung des Marktplatzes vorgegangen.
Im Vorfeld von Stadtumbauprojekten sind Bürgerumfragen oftmals sehr sinnvoll. Mit ihnen lassen sich die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger bei der Planung besser berücksichtigen. So ist z.B. die Stadt Alsfeld bei der Umgestaltung des Marktplatzes vorgegangen. © alsfeld-altstadtsanierung.de

2) Zum anderen können innerhalb der konkreten Planungsphase bestimmte Sachverhalte geklärt bzw. im Prozess bereits erarbeitete Ziele und Maßnahmen noch einmal zur Diskussion gestellt werden. Für ein Stimmungsbild zu konkreten Fragestellungen bieten sich Bürgerbefragungen an. Dahingegen ist eine Ziel- oder Maßnahmenkommentierung als textbasiertes Onlineformat zielführend. So können sich alle Interessierten auch mit den erarbeiteten und vorgesehenen Maßnahmen auseinandersetzen. Diese Beteiligungsformate müssen klar auf Grundlage der bisherigen Vorarbeiten basieren, um diese nicht zu konterkarieren. Entsprechend ist der Gestaltungsspielraum für diese Verfahren auch bereits deutlich eingeschränkt. Dies muss auch klar kommuniziert werden.

Fazit:

Stadtentwicklung ist natürlich eng an den Ort des Geschehens gebunden. Allerdings zeigt sich, dass die Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung nicht mehr nur vor Ort gedacht werden kann. Digitale Formate sollten eingesetzt werden, um Verfahren vor Ort zu unterstützen und vorzubereiten – und umgekehrt. Dabei empfiehlt es sich jedoch immer, eine Kombination aus Online-Verfahren und Vor-Ort-Veranstaltungen vorzusehen. Denn so kann man allen Bürgerinnen und Bürgern die Chance geben, sich auf dem gewünschten Weg einzubringen.

 

Über die Autorin:
Theresa Lotichius ist Geschäftsführerin der wer denkt was GmbH. Sie betreut seit mehr als 6 Jahren Projekte im Bereich Digitale Bürgerbeteiligung, Anliegenmanagement und Bürgerbefragungen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Konzeption und Beratung, Prozessgestaltung und der Begleitung sowie öffentlichen Kommunikation von Bürgerbeteiligungsprozessen.

Beitragsbild: © geralt, pixabay.com