Innenstädte haben es zunehmend schwer: weniger Besucher:innen, weniger Läden, weniger Lebendigkeit. Die einstigen pulsierenden Zentren verlieren in den letzten Jahren immer weiter an Bedeutung. Städte und Gemeinden sehen sich daher vor großen Herausforderungen: Sie müssen Strategien und Lösungen entwickeln, um die Innenstädte wieder zu beleben und attraktiv für Besucher:innen zu gestalten. Anderenfalls hätte das negative Konsequenzen für die noch verbliebenen Geschäfte und die innerstädtische Gastronomie. Alle Städte sind daher gefragt und gefordert in der Stadtentwicklung. Welche Möglichkeiten gibt es, um die Innenstadt von morgen zu gestalten? Und welche Rolle sollte die Bürgerbeteiligung bei der Innenstadtentwicklung spielen? Darum geht es in diesem Artikel von Theresa Lotichius. Die Geschäftsführerin der Darmstädter wer denkt was GmbH begleitet seit knapp zehn Jahren Kommunen bei Bürgerbeteiligungsvorhaben im Bereich Stadtentwicklung. Sie geht in diesem Beitrag auf Herausforderungen für die Kommunen ein und zeigt Lösungswege auf.
Die Innenstadt von morgen: lebendiger Treffpunkt für alle
Eine attraktive Innenstadt ist lebendig. Sie ist Treffpunkt und Veranstaltungsort, sie lädt zum Flanieren und Einkaufen ein, hier wohnt und arbeitet man. Doch spätestens seit der Corona-Krise hat sich in deutschen Innenstädten vieles verändert: Zahlreiche Läden mussten schließen, kulturelle Angebote gingen zurück, immer weniger Menschen kamen in die Stadt. Auch wenn die Pandemie vorüber ist und in vielen Bereichen wieder Normalität herrscht: Der Leerstand in den Städten hat zugenommen und die Besucherzahlen sind weiterhin geringer als 2019. Darunter leidet nicht nur die Attraktivität der Innenstädte. Die geringere Frequentierung gefährdet auch die Händler:innen und Gastronom:innen, die noch da sind. Hinzu kommen gestiegene Preise und Kosten, die den Fokus auf Armutsbetroffene und die Steigerung der Aufenthaltsqualität abseits von Konsumzwang lenken. Die Innenstadt von morgen muss eine Innenstadt für alle sein. Um Lösungen zu entwickeln und die Innenstädte wieder attraktiver zu gestalten, ist es notwendig, sich zunächst mit den Ursachen zu beschäftigen.
Herausforderungen für die Innenstädte
Woran liegt es also, dass die Menschen seltener in die Innenstadt kommen? Verschiedene Faktoren tragen dazu bei, dass die Besucherzahlen in den Innenstädten abnehmen.
Konsumverlagerung ins Digitale und in Shopping-Parks
Online-Shopping ist immer beliebter und äußerst bequem: einfach vom Sofa aus den digitalen Warenkorb füllen und alles bis zur Haustür geliefert bekommen. Die Corona-Krise hat stark dazu beigetragen, dass die Beliebtheit von Online-Shopping weiter gestiegen ist. Viele traditionelle Einzelhändler haben Schwierigkeiten, mit großen Online-Marktplätzen und Discountern zu konkurrieren. Das hat – neben weiteren Faktoren wie etwa gestiegenen Energiekosten – bereits dazu beigetragen, dass es zu zahlreichen Geschäftsschließungen kam. Allein in den zweieinhalb Pandemiejahren sind laut Handelsverband Deutschland e.V. (HDE) 39.000 Geschäfte geschlossen worden. Das waren nahezu so viele wie in den gesamten zehn Jahren davor. Auch für 2023 erwartet HDE-Präsident Dr. Alexander v. Preen die Schließung von 9.000 Geschäften. [1] Das ist alarmierend und verschärft die Situation in den Innenstädten weiter. Denn weniger Ladengeschäfte dort bedeuten für die Menschen dann wiederum weniger Auswahl und so gewinnt Online-Shopping mit einem vielfältigen Angebot weiter an Attraktivität.
Auch große Einkaufszentren und Shopping-Parks außerhalb der Innenstadt sind Konkurrenz für die Innenstädte. Sie bieten eine breite Auswahl an Geschäften auf engem Raum, die mit kurzen Wegen erreichbar sind. Das Einkaufserlebnis ist wetterunabhängig: In heißen Sommern kühlt die Klimaanlage, im Winter sind die Besucher:innen vor Wind und Wetter geschützt. Zusätzlich gibt es dort Parkplätze „vor der Tür“, was die Besucher:innen ebenfalls anziehen kann.
Verändertes Verhalten, mangelnde Vielfalt und Attraktivität
Die Bedeutung von Erlebnissen und Freizeitmöglichkeiten hat zugenommen. Shopping in der Innenstadt kann das meistens nicht bieten – auch wenn die Entwicklung in den letzten Jahren immer stärker in Richtung Erlebnis-Shopping geht. [2] Einkaufen vor Ort dauert zudem länger als Online-Shopping. Wenn die Innenstadt vorwiegend aus Einkaufsmöglichkeiten besteht und keine breite Palette an Dienstleistungen, Unterhaltung und Gastronomie bietet, verliert sie an Attraktivität für Besucher:innen.
Stadtplanung und Gestaltung
Eine unattraktive oder ungepflegte Innenstadt kann Besucher:innen abschrecken. Eine mangelnde Fußgängerfreundlichkeit, fehlende Grünflächen oder vernachlässigte öffentliche Räume können die Attraktivität mindern. Gleichzeitig kann die zunehmende Verfügbarkeit von digitaler Unterhaltung und die Zeit, die Menschen in sozialen Medien verbringen, dazu führen, dass sie weniger Zeit an innerstädtischen Orten verbringen.
Auch trägt die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit dazu bei, dass die Menschen weniger Geld für (kulturelle) Angebote in der Innenstadt ausgeben können oder sich eher zu Hause mit Freunden zum Kaffee treffen als im Café in der City. Dadurch kann sich der Zulauf in die Innenstadt verringern. Hier ist es Aufgabe der Stadtplanung, Treffpunkte und Belebung auch abseits von Konsum zu denken.
Perspektive für die Innenstadt von morgen: Was können Städte und Gemeinden tun?
Um dem entgegenzuwirken und die Innenstädte wieder attraktiv zu gestalten, gibt es unterschiedliche Ansätze und Möglichkeiten. Dazu gehören etwa vielfältige Nutzungskonzepte. Die Innenstadt ist nicht nur ein Ort zum Einkaufen. Ein vielfältiger Mix aus Einzelhandel, Gastronomie, Unterhaltung, Kultur, Bildungseinrichtungen und öffentlichen Räumen kann Menschen anziehen und länger in der Innenstadt halten. Diese Nutzungskonzepte sind wiederum für die Stadtplanung und Gestaltung relevant. Eine ansprechende Gestaltung der Innenstadt, die Fußgängerfreundlichkeit, Grünflächen, Sitzgelegenheiten und Spielmöglichkeiten für Kinder können das Ambiente verbessern und zum Verweilen einladen.
Verkehrsmanagement und Mobilität spielen ebenfalls eine große Rolle. Bessere Verkehrsplanung, Parkmöglichkeiten, Erweiterung von Fußgängerzonen, Schaffung von Fahrradwegen und Förderung des öffentlichen Nahverkehrs können die Erreichbarkeit der Innenstadt erleichtern. Dabei sind auch zahlreiche Konflikte absehbar, die es zu lösen gibt. Ein weiterer Aspekt sind Veranstaltungen und Aktivitäten. Regelmäßige Veranstaltungen, Märkte, Konzerte, Festivals und kulturelle Ereignisse locken Menschen in die Innenstadt. Sie schaffen ein lebendiges Ambiente und sorgen zugleich für mehr Frequenz in den Geschäften.
Das A und O für eine zukunftsfähige Innenstadt: Bürgerbeteiligung, Dialog & Mitsprache
Die Kombination dieser Maßnahmen sollte darauf abzielen, die Innenstadt zu einem attraktiven und lebendigen Ort zu machen. Sie sollte nicht nur als Einkaufsziel, sondern auch als Ort der Begegnung, des Erlebnisses und der Gemeinschaft wahrgenommen werden. [3] Dabei ist zu bedenken: Jede Stadt hat ihre eigenen Herausforderungen und Potenziale. Die Menschen „ticken“ anders, haben je nach Alters- und Sozialstruktur andere Bedürfnisse und Wünsche. Es gibt daher auch keine „Paradelösung“, die für jede Stadt einfach eins zu eins übertragbar ist. Daher ist einer der wichtigsten Punkte für eine nachhaltig attraktive Innenstadt die Partizipation der Gemeinschaft. Um eine zukunftsfähige Innenstadt zu gestalten, tun Städte und Gemeinden deshalb gut daran, Maßnahmen mit den Bürger:innen gemeinsam zu entwickeln.
Das hat in zweierlei Hinsicht Vorteile: eine breite Bürgerbeteiligung und die Einbindung der lokalen Gemeinschaft in Entscheidungsprozesse zur Innenstadtentwicklung können einerseits sicherstellen, dass die Maßnahmen den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen vor Ort entsprechen. Die bereits genannten, absehbaren Konflikte können und müssen gemeinsam betrachtet werden, um Kompromisse zu finden. Andererseits stärken Beteiligungsformate die Verbundenheit und Identifikation – sowohl mit der Stadt als auch mit den Maßnahmen.
„Griesheim Innen.Drin“: Bürgerbeteiligung zur Innenstadtentwicklung in der Praxis
Die Stadt Griesheim geht diesen Weg und setzt auf den Bürgerdialog. Bürgerbeteiligung spielt dort ohnehin eine wichtige Rolle: Die Stadt mit knapp 28.000 Einwohnern hat eine Leitlinie für gute Bürgerbeteiligung eingeführt, eine Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung eingerichtet, es gibt eine digitale Bürgerbeteiligungsplattform und regelmäßige Beteiligungsprojekte zu den verschiedensten Themen. So geht die südhessische Stadt auch ihr Großprojekt zur Innenstadtentwicklung – „Griesheim Innen.Drin“ – Hand in Hand mit den Bürger:innen an.
Das Großprojekt hat zum Ziel, die Griesheimer Innenstadt zukunftsfähig zu gestalten und die Aufenthaltsqualität zu steigern. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und erhält Fördermittel aus dem Bundesförderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“. Dieses Förderprogramm vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zielt darauf ab, deutschlandweit Innenstädte zu stärken und resilienter gegenüber Krisen zu machen. Daher unterstützt der Bund innovative Konzepte und Handlungsstrategien mit insgesamt 250 Millionen Euro. Griesheim ist eine von 228 Kommunen, die in ganz Deutschland im Rahmen des Programms unterstützt werden.
Crossmediale Bürgerbeteiligung: Ideensammlung für die Zukunft der Griesheimer Innenstadt
Den Auftakt der Bürgerbeteiligung zur Innenstadtentwicklung in Griesheim bildete ein großer Aktionstag. Unter dem Motto „Griesheim macht Mit(te)“ hatte die Stadt ihre Bürger:innen zu einem großen Familienfest mit vielfältigen Angeboten eingeladen. Es gab zum Beispiel eine Ideenwerkstatt mit kurzen Impulsvorträgen und der Möglichkeit, Vorschläge für die zukünftige Innenstadt auf einer großen Ideenkarte festzuhalten. Kinder und Jugendliche hatten die Möglichkeit, ihre Ideen zur Innenstadt in kreativen Formaten einzubringen: Sie konnten „Wunschwolken“ mit Kreide auf das Pflaster malen oder unter dem Motto „Mein Statement für die Innenstadt“ Plakate gestalten.
Der Aktionstag mit seinen verschiedenen Möglichkeiten, sich vor Ort mit Ideen und Anregungen einzubringen, kam sehr gut an. Er verschaffte dem Thema Innenstadtentwicklung zugleich sehr viel Aufmerksamkeit – und zwar über die verschiedenen Altersgruppen hinweg.
Ergänzt wurde das Vor-Ort-Format von einer Online-Beteiligung. Diese startete zeitgleich mit dem Aktionstag und sorgte dafür, dass auch nachträglich noch Ideen zur Innenstadtentwicklung eingebracht werden konnten. Umgesetzt wurde die Online-Beteiligung als Ideensammlung mit Crowdmapping auf der städtischen Beteiligungsplattform. Mehr als 130 Ideen für die langfristige Aufwertung der Innenstadt gingen insgesamt ein.
Mobile Stadtmöbel zur Aufwertung der Innenstadt von morgen
Für die Stadt Griesheim ist aber auch die kurz- und mittelfristige Aufwertung der Innenstadt wichtig. So ist ein zentraler Bestandteil der Innenstadt von morgen eine einladende Stadtmöblierung. Die Stadt Griesheim hat daher aus Mitteln des Förderprogramms mobile Stadtmöbel anschaffen können. Nun sollen gemeinsam mit den Bürger:innen die besten Standorte für die Stadtmöbel identifiziert werden. Die Stadt Griesheim hat dafür ein Gremium aus Bürger:innen gebildet, die „Stadtmöbel-Jury“. Sie begleitet das dreijährige Projekt und bewertet verschiedene Standorte der Möbel.
Im Verlauf des dreijährigen Projektes sind zahlreiche digitale und analoge Beteiligungsformate vorgesehen. Auf diese Weise soll in Griesheim Hand in Hand mit den Bürger:innen die Aufenthaltsqualität in der Stadt gesteigert und der Weg zu einer zukunftsfähigen Innenstadt beschritten werden.
Fazit:
Eine zukunftsfähige Innenstadt von morgen ist ein lebendiger Treffpunkt für alle Menschen. Eine hohe Aufenthaltsqualität, Fußgängerfreundlichkeit, Sitzgelegenheiten, Spielangebote gehören ebenso mit dazu wie ein breites Angebot an Geschäften und Gastronomie sowie Kultur. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es dazu von hoher Relevanz, Innenstadtentwicklung auch jenseits von Konsum zu denken. Dabei hat jede Stadt hat ihre eigenen Herausforderungen und Potenziale. Je nach Alters- und Sozialstruktur einer Stadt haben die Menschen andere Bedürfnisse und Wünsche. Es gibt somit keine „Paradelösung“ für die Innenstadt von morgen. Kommunen sollten daher bei der Innenstadtentwicklung auf Bürgerbeteiligung setzen und Maßnahmen gemeinsam mit ihren Bürger:innen entwickeln. Die Kommunen, die im Rahmen des Förderprogramms von „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ unterstützt werden – wie zum Beispiel die Stadt Griesheim –, können dafür Anregungen liefern.
Über die Autorin:
Theresa Lotichius ist Geschäftsführerin der wer denkt was GmbH. Sie betreut seit knapp 10 Jahren Projekte im Bereich Digitale Bürgerbeteiligung, Anliegenmanagement und Bürgerbefragungen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Konzeption und Beratung, Prozessgestaltung und der Begleitung sowie öffentlichen Kommunikation von Bürgerbeteiligungsprozessen.
[1] Zu Geschäftsschließungen während der Pandemie und der Prognose für 2023 und 2024 äußerte sich kürzlich HDE-Präsident Dr. Alexander v. Preen im Rahmen eines Interviews in der „WELT“, siehe auch ad-hoc-news.de
[2] Erlebnis-Shopping ist eine Strategie im stationären Einzelhandel, mit der ein Einkaufserlebnis für alle Sinne geschaffen werden soll. Geschäfte bieten den Kund:innen zum Beispiel Events, eine einzigartige und großzügige Shopgestaltung, ansprechende Gerüche und Musik, Möglichkeiten zum Ausprobieren und sorgen für ein Wohlfühlambiente. Auch innovative Technologien wie AR und VR können dazu beitragen, Einkaufen zum Erlebnis zu machen. Ziel vom Erlebniseinkauf ist es, Shops zum sogenannten „dritten Ort“ zu gestalten. Siehe dazu digitalconnection.de und zukunftdeseinkaufens.de
[3] Die Studie „Vitale Innenstädte“ des IFH Köln, bei der im Herbst 2022 rund 69.000 Passant:innen in 111 deutschen Innenstädten interviewt wurden, ergab, dass Einkaufen zwar Besuchsmotiv Nummer eins ist, doch andere Besuchsgründe zunehmend in den Vordergrund treten. Die Befragten hatten folgende Wünsche für die Innenstädte: Begegnungsorte, die zum Verweilen einladen (45%), Shoppingangebote (43%), Kunst und Kultur (36%), Gastronomie (35%). ifhkoeln.de
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