Ob Verkehr, Klimaschutz, Energie oder nachhaltige Stadtentwicklung – immer mehr Bürgerinnen und Bürger möchten mitreden, wenn es um ihr direktes Lebensumfeld geht. Gleichzeitig haben viele Bürgerinnen und Bürger wenig Zeit, um sich inhaltlich einzubringen. Das wiederum stellt jene vor Herausforderungen, die Bürgerbeteiligung planen und umsetzen. Denn ein zentraler Anspruch jeder erfolgreichen Bürgerbeteiligung muss es sein, möglichst alle Zielgruppen einzubeziehen. Digitale Bürgerbeteiligung kann zur Aktivierung der Bürgerschaft eine wertvolle Unterstützung sein, denn sie funktioniert eben auch mit dem Tablet vom Sofa aus. Digitale Bürgerbeteiligung stößt aber auch an Grenzen. Das liegt etwa daran, dass immer immer noch viele Menschen das Digitale scheuen, oder weil bestimmte Themen am besten vor Ort – im direkten Dialog miteinander – behandelt werden. In diesem Beitrag führt Antonio Arcudi, Teamleiter bei der wer denkt was GmbH, in das Thema der (digitalen) Bürgerbeteiligung ein und setzt sich vor allem mit dem skizzierten Spannungsfeld auseinander.
Qualitätskriterien für gute Bürgerbeteiligung und die Aktivierung der Bürgerschaft
Erfolgreiche Bürgerbeteiligung ist kein Selbstläufer! Ein entscheidender Faktor für erfolgreiche Bürgerbeteiligungsprozesse ist es, Bürgerbeteiligung immer als trialogischen Prozess zu verstehen. Das heißt: Vertreterinnen und Vertreter aus Bürgerschaft, Verwaltung und Politik sollten mit ins Boot geholt werden und gemeinsam hinter dem Vorhaben stehen. Für die Politik bedeutet das nicht zuletzt, eine ergebnisoffene Haltung zu bewahren. Bürgerbeteiligung ist nur dann sinnvoll, wenn es auch Gestaltungsspielräume gibt. Die Verwaltung ist dazu angehalten, Informationen transparent bereitzustellen und dabei darauf zu achten, dass die Informationen klar und einfach dargestellt werden. Die Bürgerinnen und Bürger wiederum müssen von der Möglichkeit des „Sich-Beteiligens“ Gebrauch machen. Damit die Bürgerinnen und Bürger diese Mitwirkungs-Verantwortung erfüllen können, müssen sie angesprochen und aktiviert werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, gerade auch jene Personengruppen anzusprechen, die ansonsten in Beteiligungsprozessen eher unterrepräsentiert sind. Wir werden sehen, dass digitale Bürgerbeteiligung hier einen Beitrag leisten kann.
Mitwirkung und Aktivierung der Bürgerschaft
Das Ziel ist klar: Es sollen möglichst alle Bevölkerungsgruppen bei der Bürgerbeteiligung einbezogen werden. Es zeigt sich jedoch, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen die Möglichkeiten der politischen Teilhabe überdurchschnittlich stark nutzen, während sich andere Gruppen wenig oder gar nicht beteiligen.
Die Gründe für diese „Nicht-Partizipation“ sind vielfältig. Einige dieser Gründe (siehe Abbildung 1) können nicht unmittelbar und erst recht nicht kurzfristig aufgelöst werden. Vor allem im Bereich der Motivation, den Möglichkeiten zum Mitwirken sowie mit Blick auf die Kapazitäten der Bürgerinnen und Bürger können jedoch auch kurz- bis mittelfristig Maßnahmen getroffen werden.
So ist es bspw. hinsichtlich der Möglichkeiten zum Mitwirken entscheidend, dass die Bürgerinnen und Bürger von der Gelegenheit zur Beteiligung wissen. Eine gute Öffentlichkeitsarbeit und Ansprache sind daher wichtig. Es muss aber z. B. auch darauf geachtet werden, dass die für Vor-Ort-Veranstaltungen genutzten Räumlichkeiten gut zugänglich sind.
Die Kapazitäten der Bürgerinnen und Bürger sind begrenzt. An dieser Tatsache selbst lässt sich wenig ändern. Es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass das „Sich-Beteiligen“ eine Aktivität ist, die mit vielen anderen Aktivitäten (Beruf, Familie, Hobbies) in Konkurrenz steht. Deshalb ist es entscheidend, einen niedrigschwelligen Zugang zur Beteiligung zu gewährleisten.
Auch die Motivation ist ein zentraler Einflussfaktor darauf, welchen Anteil des begrenzten Zeitbudgets die Bürgerinnen und Bürger für Aktivitäten im Bereich der Bürgerbeteiligung verwenden. Hierbei spielt vor allem die persönliche Betroffenheit eine zentrale Rolle. Den Bürgerinnen und Bürgern muss deutlich werden, warum ein Thema für sie von Relevanz ist. Gleichzeitig muss dieses Thema interessant dargestellt sein und ansprechende Formate gewählt werden.
Im Bereich der Ressourcen existieren kaum Möglichkeiten der direkten Einflussnahme. Vielmehr sollte die Bürgerbeteiligung so gestaltet sein, dass ein niedrigschwelliger Zugang gewährleistet ist und die Beteiligung möglichst einfach und flexibel erfolgen kann. Hier setzt die digitale Bürgerbeteiligung an.
Bürgerbeteiligung online – vor Ort – verschränkt?
Vorteile digitaler Bürgerbeteiligung
Denn digitale Bürgerbeteiligung kann ein maßgeblicher Faktor bei der Aktivierung der Bürgerschaft sein. Sie bietet eine zeit- und ortsunabhängige Möglichkeit der Beteiligung. Durch sie können sich auch Personen beteiligen, denen es bspw. zeitlich nicht möglich ist, an einer Abendveranstaltung teilzunehmen: Digitale Bürgerbeteiligung geht eben auch abends mit dem Tablet vom Sofa aus. Insgesamt ist die internetgestützte Beteiligung für die Teilnehmenden weniger aufwändig, da z. B. Anfahrtswege entfallen. Gerade jüngere Menschen fühlen sich von digitaler Bürgerbeteiligung zudem tendenziell stärker angesprochen. Insgesamt kann so durch digitale Angebote die angesprochene Zielgruppe ausgeweitet werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass auf Beteiligungsplattformen alle relevanten Inhalte in verschiedenen Informationstiefen transparent dargestellt werden können. Eine Archivfunktion macht es möglich, Informationen zu bereits abgeschlossenen Verfahren langfristig zu dokumentieren.
Nachteile digitaler Bürgerbeteiligung
Digitale Bürgerbeteiligung bietet nicht nur Vorteile, sondern genauso Fallstricke und Nachteile. So kann bspw. ein rein digitales Angebot zu einem de facto-Ausschluss der nicht-internetaffinen Gruppen führen. Darüber hinaus gibt es Themen, die einfach besser im direkten und unmittelbaren Austausch miteinander behandelt werden können: Nicht alle Themen und nicht alle Formate lassen sich gut digital abbilden. Oft ist gerade die Dynamik, die im direkten Austausch entsteht, von besonderem Wert – z. B. dann, wenn es gilt, zu Kompromissen zu gelangen. Die Arbeit in Kleingruppen vor Ort kann bspw. sehr gut dazu geeignet, einen Perspektivwechsel bei den Teilnehmenden herbeizuführen, der für ein besseres gegenseitiges Verständnis sorgt. Hinzu kommen Datenschutzbedenken, die einige Bürgerinnen und Bürger bei digitalen Anwendungen abschrecken.
Datenschutz ist ein wichtiges Thema, das seit dem Inkrafttreten der DSG-VO noch stärker in den Fokus gerückt ist. Soll digitale Bürgerbeteiligung durchgeführt werden, ist daher darauf zu achten, alle Bestimmungen des Datenschutzes einzuhalten. Professionelle Anbieter digitaler Bürgerbeteiligung stellen dies jedoch sicher, sodass Datenschutzbedenken der Bürgerinnen und Bürger ausgeräumt werden können.
Die verschränkte Bürgerbeteiligung
Letztendlich muss man sich aber auch gar nicht zwischen digitaler und analoger Bürgerbeteiligung entscheiden. Ganz im Gegenteil ist es viel zielführender, Bürgerbeteiligung verschränkt zu denken, zu planen und durchzuführen. Verschränkte Bürgerbeteiligung bedeutet, sowohl analoge als auch digitale Verfahren einzusetzen und sich damit die Vorteile beider Varianten zunutze zu machen. So können bspw. Ideen auf einer Online-Plattform eingetragen werden, die dann Ausgangspunkt für weitere Diskussionen in Workshops sind (und andersherum). Zielführend ist es auch, neben der Möglichkeit der Online-Eingabe von Beiträgen einen zusätzlichen offline-Kanal zu bieten: Ideen aus der Bürgerschaft können dann auch per Papier-Formular, persönlich vor Ort oder per Telefon eingereicht werden. Diese Verschränkung verschiedener Kanäle hat den Vorteil, dass sie eine sehr breite Personengruppe anspricht: Sowohl die stark anderweitig eingebundenen Bürgerinnen und Bürger (Arbeit, Familie etc.) als auch jene, die sich vor der Nutzung digitaler Lösungen scheuen. Auch eine Kombination mit Elementen der aufsuchenden Beteiligung für schwer erreichbare Zielgruppen ist denkbar und sinnvoll.
Praxis und Formate der digitalen Bürgerbeteiligung
Nun stellt sich die Frage, welche Verfahren im Bereich der digitalen Bürgerbeteiligung umsetzbar sind. Im allgemeinen können grob drei Ebenen der Formate unterschieden werden:
- Umfragen & Bürgerpanels
- Fragen & Antworten
- Text- und kartenbasierte Beteiligungen
Zu digitaler Bürgerbeteiligung im weiteren Sinne sind außerdem das digitale Anliegenmanagement (Mängelmelder) sowie reine Informationsplattformen zu zählen.
Umfragen und Bürgerpanels
Umfragen bzw. Bürgerbefragungen ermitteln Meinungen zu bestimmten Fragen, Stimmungslagen zu tagesaktuellen Themen oder die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Kommune. Sie liefern Informationen darüber, welche Themen die Menschen bewegen, machen diese frühzeitig identifizierbar und stellen sie zur Diskussion. So stellen Bürgerbefragungen einen unmittelbaren Weg der Bürgerbeteiligung dar. Sogenannte Blitzumfragen mit wenigen – meist 10 bis 15 – Fragen bieten sich an, um zeitnah und effizient Meinungs- und Stimmungsbilder sichtbar zu machen. Sie eignen sich eher weniger, wenn komplexere Informationen und Meinungen eingeholt werden sollen. In diesen Fällen bietet sich die einmalige Bürgerbefragung an, die umfangreicher ausfällt als die Blitzumfrage. Das Bürgerpanel zeichnet sich wiederum dadurch aus, dass die Effekte der Politik auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger sowie deren Meinungen über einen längeren Zeitraum hinweg gemessen werden. Ein Bürgerpanel umfasst eine repräsentative Stichprobe und wird in einem bestimmten Turnus (z. B. alle zwei Jahre) durchgeführt, wobei immer wieder dieselben Personen bzw. Haushalte zur Teilnahme aufgefordert werden. Für alle Verfahren im Bereich der Befragungen gilt: Es ist sinnvoll, den Bürgerinnen und Bürgern auch eine Offline-Teilnahme zu ermöglichen, indem Papier-Fragebögen bereit gestellt werden. Die ausgefüllten Papier-Fragebögen können dann ins Digitale übertragen werden, um eine einheitliche Auswertung der jeweiligen Befragung zu ermöglichen.
Fragen & Antworten
Ein wichtiger Aspekt von Bürgerbeteiligung ist die transparente und frühzeitige Information der Bürgerschaft. Hierzu gehört auch, dass für Bürgerinnen und Bürger eine Anlaufstelle bereit steht, an die sie ihre Fragen richten können. Digitale Lösungen zur Erfassung und Beantwortung von Fragen aus der Bürgerschaft (z. B. zu einem bestimmten Thema aber auch allgemeine Fragen an Verwaltung und/oder Politik) bieten genau das. Hier können interessierte Bürgerinnen und Bürger ihre Fragen auf einer Plattform eingeben. Sobald die Antworten von der zuständigen Stelle eingeholt wurden, werden die Fragenstellerinnen und Fragensteller per Mail informiert. Die jeweilige Antwort steht dann für alle Interessierten öffentlich sichtbar auf der Plattform bereit. Dies hilft, Doppelbearbeitungen zu reduzieren oder gar vollständig zu vermeiden. Im Zeitverlauf können so „digitale Wissensspeicher“ aufgebaut werden.
Text- und kartenbasierte Beteiligungen
Sowohl bei text- als auch bei kartenbasierten Beteiligungen geht es um die Konsultation der Bürgerinnen und Bürger. Hierbei sind sehr unterschiedlich ausgestaltete Prozesse möglich.
Bei textbasierten Verfahren wie bspw. einer Ideensammlung zu einem bestimmten Thema (das Klimaschutzkonzept, der städtische Haushalt, die Umgestaltung der Uferpromenade usw.), können Bürgerinnen und Bürger ihre Vorschläge in Textform auf einer Online-Plattform eintragen. Bei Bedarf stehen verschiedene Kommentierungs- und Abstimmungsfunktionen zur Verfügung. Aber auch die Maßnahmenkommentierung ist ein gerne genutztes Format. Bei dieser werden von der Kommune geplante bzw. angedachte Einzelmaßnahmen (z. B. Neubau einer Fußgängerbrücke, Begrünung eines bestimmten Areals, Asphaltierung eines Radwegs etc.) den Bürgerinnen und Bürgern präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die Maßnahmenkommentierung eignet sich zur Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in einer Phase, in der das jeweilige Projekt schon weiter fortgeschritten ist.
Kartenbasierte Beteiligungen funktionieren ähnlich, verorten die Ideen und Maßnahmen aber zusätzlich noch auf einer interaktiven Stadkarte. Da sich Menschen naturgemäß besonders stark für ihr unmittelbares Lebensumfeld interessieren, helfen kartenbasierte Beteiligungsformate, die persönliche Betroffenheit der Bürgerinnen und Bürger zu verdeutlichen. Die Karte bietet hierbei einen sehr direkten Einstieg in das Beteiligungsformat. Verschieden gestaltete Marker helfen dabei, den Interessierten einen schnellen Überblick zu verschaffen.
Natürlich ist es auch möglich, karten- und die textbasierte Beteiligungsformate zu verknüpfen. In diesem Fall wird es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, neben der Ideeneingabe über die Karte in einem separaten Bereich eigene Ideen ohne Ortsbezug einzugeben.
Fazit
Die digitale Bürgerbeteiligung alleine ist kein Allheilmittel, wenn es um die Frage geht, wie möglichst viele Bevölkerungsgruppen für Bürgerbeteiligungsverfahren aktiviert und eingebunden werden können. Zweifelsfrei bietet sie jedoch einen weiteren, sehr niedrigschwelligen Kanal der Beteiligung und verbreitert die Zielgruppe, indem sie vielen Menschen die Beteiligung überhaupt erst ermöglicht. Im Optimalfall jedoch wird Bürgerbeteiligung immer verschränkt gedacht und durchgeführt, indem sowohl digitale als auch analoge Kanäle des Mitwirkens angeboten werden. Das ist zwar aufwändig, aber gleichzeitig der beste Weg, um die gesamte Kommunalgesellschaft anzusprechen und möglichst niemanden auszuschließen.
Über den Autor:
Antonio Arcudi ist Teamleiter im Bereich der (digitalen) Bürgerbeteiligung. In dieser Position konzipiert, betreut und begleitet er verschiedene Software-Projekte für Kunden aus den kommunalen Bereichen.
Beitragsbild: © pixabay / janeb13