Bürgerbefragungen als Form der politischen Partizipation erfreuen sich großer Beliebtheit, insbesondere auf kommunaler Ebene. Sie sind kostengünstig, zielgerichtet und helfen dabei, die Wünsche, Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Bürgerinnen und Bürger leicht in Erfahrung zu bringen. So gehören Umfragen beispielsweise im Rahmen der Stadtentwicklung und der Erstellung von Mobilitätskonzepten mittlerweile zum gängigen Repertoire für Städte und Gemeinden. Doch Bürgerbefragungen können auch langfristig einen großen Mehrwert für die Beteiligungskultur in der Kommune haben, weiß Fabian Lauterbach. Der Projektmanager Umfragen bei der wer denkt was GmbH hat bereits mehr als 30 Bürgerbefragungen in unterschiedlichen deutschen Städten und Gemeinden begleitet. Er zeigt in diesem Artikel, wie Kommunen die Vorteile von Bürgerbefragungen voll ausschöpfen und wie Befragungen eine effektive Partizipation mittel- und langfristig fördern können.
Bürgerbefragung als Einstieg in die Bürgerbeteiligung
Bürgerbefragungen sind eine niedrigschwellige und breite Form der Bürgerbeteiligung. Gerade bei städtischen Planungs- und Entwicklungsmaßnahmen spielen sie daher eine wichtige Rolle. Mit ihnen können Kommunen bei erfolgreicher Durchführung eine breite und belastbare Datenbasis schaffen. Auf deren Grundlage können insbesondere mittel- und langfristige Entscheidungen gestützt werden. Dabei liegt der Vorteil der Bürgerbefragung auf der Hand: Wie kaum ein anderes Beteiligungsformat bietet sie die Möglichkeit, die Perspektive der Gesamtbevölkerung sowie unmittelbar betroffener Personengruppen in Erfahrung zu bringen 1. Kommunen können die jeweiligen Gruppen – unabhängig von kultureller Herkunft, sozialer Stellung oder Bildungsgrad – dabei gezielt per Post anschreiben und einen Fragebogen oder Zugangsschlüssel für Online-Befragungen zusenden. Werden zusätzliche Teilnahmeanreize gesetzt – etwa Verlosungen unter allen Teilnehmenden –, wird die thematische Betroffenheit noch verstärkt und die Motivation und Bereitschaft zur Teilnahme erhöht.
Eine lokale Beteiligungskultur etablieren
Um eine lebendige und nachhaltige Beteiligungskultur in einer Kommune zu entwickeln, reichen einzelne Befragungen freilich nicht aus. Doch sie bieten großes Potenzial und können als Einstieg in und Antrieb für mehr kommunale Bürgerbeteiligung eingesetzt werden. Sie können somit zu einem integralen Bestandteil eines längerfristigen Prozesses werden.
Genau eine solche langfristige Beteiligungskultur streben immer mehr Kommunen an. Insbesondere bei städtischen Planungs- und Entwicklungsmaßnahmen binden sie ihre Bürgerinnen und Bürger heutzutage stärker ein. Man holt Stimmungsbilder ein, animiert die Menschen, ihre Ideen zu äußern, unterstützt bürgerinitiierte Projekte auch finanziell. Dieser Weg hat sich über die letzten Jahre stetig weiterentwickelt. Entsprechend haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mehr Städte und Gemeinden den Begriff „Bürgerkommune“ auf die Fahnen geschrieben2. So zeigen sie deutlich, dass sie die lokale Bürgerbeteiligung fördern und eine breite und angemessene Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen wollen. Um das auch langfristig zu gewährleisten, braucht es eine lokale Beteiligungskultur.
„Beteiligungsdefizite“: Herausforderungen der Bürgerbeteiligung
In der Praxis zeigt sich jedoch trotz dieser kommunalen Bemühungen häufig ein gewisses „Beteiligungsdefizit“3. Die Anzahl der Teilnehmenden an Beteiligungsmaßnahmen ist oft überschaubar. Da stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum? Wie einige empirische Analysen eindrucksvoll gezeigt haben4, liegt der Grund hierfür nicht darin, dass der Wille oder das Interesse seitens der Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung fehlt. Im Gegenteil, die Bereitschaft zur Beteiligung hat in den letzten Jahren eher zu- als abgenommen. Die Ursache für die oftmals geringe Beteiligung scheint vielmehr darin zu liegen, dass unterschiedliche Hürden und Beteiligungshemmnisse bestehen. Diese erschweren eine breite, repräsentative Teilhabe. Zu den wesentlichen Aspekten der Beteiligungshemmnisse zählen hierbei5:
1. Beschränkung auf kleingruppen-orientierte Teilhabe und die damit verbundenen Zugangsbeschränkungen/Hürden (wie beispielsweise bei Bürgerwerkstätten, Planspielen, „runden Tischen“, …)
2. Eindruck einer mangelnden politischen bzw. bürgerlichen Wirksamkeit („political efficacy“ bzw. „civic efficacy“): Hierzu gehört die Unsicherheit bzw. Befürchtung, dass die Beteiligung keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat, sowie die Wahrnehmung, nicht über die geforderten/nötigen Kompetenzen für die Beteiligung zu verfügen
3. Mangelnde Transparenz hinsichtlich der Rahmenbedingungen, der Möglichkeiten und des Spielraums der Beteiligungen und der Weiterverwendung der Ergebnisse
4. Geringes Maß an Aktivierung und Mobilisation schwer erreichbarer Zielgruppen
5. Fehlende Repräsentativität bei Beteiligungsmöglichkeiten und die daraus resultierende Verdrossenheit („es zählt nur die Meinung der üblichen Bürgerinnen und Bürger“ „Mittelschicht-Bias“, Entkopplung anderer Bevölkerungsgruppen)
Um die Bürgerbeteiligung auf eine breitere Basis zu stellen und eine richtige Beteiligungskultur zu etablieren, müssen Kommunen es daher schaffen, diese Beteiligungshemmnisse zu überwinden. Bürgerbefragungen als niedrigschwelliges und breites Format können dabei ein Schlüssel zum Erfolg sein.
Dialog-orientierte Bürgerbefragungen können viel Aufmerksamkeit erzeugen
Bürgerbefragungen sind ein wesentliches Instrument, um die Meinungen und Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zu lokalpolitischen Themen und Aspekten repräsentativ zu ermitteln. Werden sie entsprechend öffentlichkeitswirksam angekündigt, gibt es eine „thematische Betroffenheit“ bei der angesprochenen Bürgerschaft und existieren z.B. auch weitere Teilnahmeanreize, dann haben sie sehr großes Teilnahme-Potenzial. Dazu kommt: Umfragen schaffen es wie kaum ein anderes Format verschiedene Bevölkerungsgruppen zu aktivieren. Sie können daher ein Türöffner für langfristige Bürgerbeteiligung sein.
Bürgerbefragungen sind dabei gleichzeitig Mittel und Zweck. Denn: Die Ergebnisse repräsentativer Befragungen können sowohl ein direkter Input für die Arbeit der Stadtverwaltung und Lokalpolitik sein als auch Grundlage für andere, nicht-repräsentative Bürgerbeteiligungsprozesse. Zugleich können Bürgerbefragungen eine breite Öffentlichkeit erreichen. Sie sind daher Mittel zum Zweck, da sie in der Regel eine hohe Aufmerksamkeit in der lokalen Bevölkerung schaffen. Kommunale Themen und Problemstellungen erreichen darüber nahezu alle Bevölkerungsgruppen. Genau aus diesem Grund können Umfragen zur Rekrutierung für weitere Beteiligungsprozesse genutzt werden6.
Die Bürgerbefragungen können dabei sowohl einen Input an Informationen liefern und/oder bei der Rekrutierung von Teilnehmenden unterstützen. Dabei erlaubt das Instrument im Gegensatz zu direktdemokratischen Mitteln (welche als einzige andere Form der Bürgerbeteiligung einen ähnlich hohen Repräsentativitätsanspruch haben) auf die Beteiligungsergebnisse zu reagieren, da noch keine unmittelbare Verbindlichkeit der Entscheidung besteht. So können die Befragungsergebnisse durch Diskussionen in den Stadträten sowie durch – wie zuvor angesprochen – weitere Beteiligungsansätze weiterbearbeitet werden7. Auf diese Weise kann die Bürgerbefragung zu einem dialogischen Verfahren entwickelt werden. „Die Bürgerbefragung überwindet als bisher einziges Verfahren somit den Makel der „sozialen Selektivität“, die – offen oder verdeckt – allen bisher angewandten Beteiligungsverfahren anhaftet.“8
Schlüsselfaktoren für den Erfolg von Bürgerbefragungen und langfristiger Bürgerbeteiligung
Für den Erfolg einer einzelnen Bürgerbefragung ist es zunächst einmal wichtig, dass die Umfrage repräsentativ ist. Ebenso muss die Befragung offen und niedrigschwellig sein. Darüber hinaus braucht es eine gute Öffentlichkeitsarbeit via Presse, Social Media, Multiplikatoren – insbesondere dann, wenn sich nicht nur per Post kontaktierte Anwohnende beteiligen sollen.
Um langfristigen Erfolg für die Bürgerbeteiligung zu erzielen und eine dialogische Beteiligungskultur zu fördern, sollten auch folgende Kriterien für Bürgerbefragungen beachtet werden:
- Rahmenbedingungen der Bürgerbefragung von Beginn an transparent kommunizieren
- Durchführung und Ablauf der Bürgerbefragung neutral und verlässlich gestalten
- Ergebnisse bürgernah aufbereiten und kommunizieren
- Verwendung der Ergebnisse als zukünftige Leitlinien für die Politikgestaltung
- Bürgerbefragungen als Teil eines dialogischen Prozesses verstehen
- Reichweite und zivilgesellschaftliche Aktivierung von Bürgerbefragungen für folgende Beteiligungen nutzen
Die ersten drei Punkte sind dabei besonders wichtig, um Vertrauen herzustellen und politische Wirksamkeit erfahrbar zu machen. Nur wer spürt, dass er gehört wird und sein Beitrag „etwas bringt“, wird sich langfristig bei Bürgerbeteiligungsmaßnahmen einbringen und engagieren. Mit jeder repräsentativen Befragung, die diesen Schlüsselfaktoren folgt, können Kommunen somit neue Teilnehmende rekrutieren.
Mit Bürgerbefragungen Interessenten für andere Beteiligungsverfahren akquirieren
Bürgerbefragungen können so beispielsweise auch dazu genutzt werden, um interessierte Personen für weitere Beteiligungsverfahren und städtische Aktionen zu gewinnen. Dies kann etwa über eine einfache Interessenabfrage mit separatem Kontaktdatenformular erfolgen. Auf diese Weise können Teilnehmende für weitere Verfahren akquiriert sowie die Reichweite der städtischen Kommunikation erheblich erhöht werden. Wichtig ist hierbei natürlich, dass die Kontaktdaten separat von den Befragungsdaten erhoben und gespeichert werden.
Auf Basis meiner Erfahrungen liegt der Anteil an Personen, die das Kontaktdatenformular ausfüllen und der weiteren Kontaktaufnahme seitens der Stadt zustimmen, bei mindestens 10% und bis zu 25%. Auch hier zeigt sich also, dass es sehr hilfreich sein kann, eine Bürgerbefragung nicht singulär, sondern über den Befragungszeitraum hinaus zu betrachten und weiterzudenken. Bereits durch sehr einfache Erweiterungen, wie etwa ein Kontaktdatenformular, kann hier ein echter Mehrwert für darauffolgende Beteiligungsprozesse geschaffen werden, unabhängig in welcher Form diese dann erfolgen.
Fazit:
Bürgerbefragungen sind als niedrigschwelliges, bekanntes sowie bereits eingeübtes Verfahren sehr gut geeignet für die Bürgerbeteiligung. Sie führen darüber hinaus zu einer signifikanten Stärkung der politischen Mobilisierung und Partizipation auf kommunaler Ebene – auch über den eigentlichen Befragungszeitraum hinaus. Kommunen sollten Bürgerbefragungen als Ergänzung zu anderen Beteiligungsformen und -formaten einsetzen. Denn wie die praktische Erfahrung gezeigt hat, lassen sich hierüber positive Erfahrungen und neue Teilnehmende für andere Verfahren generieren.
Zentral für den Erfolg ist auch bei Befragungen die (wahrgenommene) politische Wirksamkeit der Bürgerinnen und Bürger (political efficacy). Wie schätzen die Bürgerinnen und Bürger also ihre eigenen Kompetenzen (im Bezug auf die Beteiligung und/oder den Beteiligungsgegenstand), die Wirkung ihrer Beteiligung und die Offenheit der Politik und Verwaltung für ihre Meinungen und Präferenzen ein? Es ist naheliegend, dass vernachlässigte oder ignorierte Beteiligungsergebnisse zu einer geringeren Motivation für zukünftige Verfahren führt. Erst die Bürger befragen, dann aber anders entscheiden? Das ist der denkbar schlechteste Ansatz, der in der Praxis aber leider immer noch vorkommt. Umgekehrt können wiederholt positive Erfahrungen mit Beteiligungsverfahren die Motivation zur Beteiligung erhöhen. Denn die Bürgerinnen und Bürger empfinden sich so als politisch wirksam(er).
Dementsprechend eignen sich Bürgerbefragungen als niedrigschwelliges und breites Beteiligungsverfahren besonders, um einen langfristigen Mehrwert für die kommunale Beteiligungskultur zu schaffen. Unter Berücksichtigung der oben genannten Schlüsselfaktoren und sozialwissenschaftlicher Grundsätze bei der Fragebogenkonzeption (d.h. neutrale Fragestellungen, vollständige und disjunkte Antwortkategorien) können Bürgerbefragungen daher ein geeignetes Instrument sein, um die Politikgestaltung auf eine breite Basis zu stellen. Mit ihnen lassen sich auch schwer zu erreichende Bevölkerungsteile (auch für weitere Beteiligungsansätze) aktivieren und mobilisieren. Die Bürgerinnen und Bürger können durch Befragungen die Wahrnehmung ihrer politischen Wirksamkeit erhöhen und somit positive Beteiligungserfahrung sammeln. Diese trägt dazu bei, dass die Menschen sich für eine weitere politische Partizipation und mehr Engagement begeistern. Nutzen Kommunen diese möglichen Vorteile von Bürgerbefragungen, können sie das Instrument als dialogisches Verfahren für den Austausch zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft einsetzen.
Über den Autor:
Fabian Lauterbach, M.Sc. hat Politikwissenschaft an der Universität Mannheim und der VU Amsterdam studiert. Er begeistert sich für Statistik und interessiert sich sehr für gesellschaftliche Einstellungen und Verhaltensweisen sowie deren quantitative Betrachtung. Seit 2018 ist er bei der wer denkt was GmbH als Projektmanager im Bereich „Umfragen & Analysen“ tätig. Schwerpunktmäßig ist er für die Konzeption und Konfiguration von Umfragen und Analysen verantwortlich.
Verweise
1 vgl. auch: Deutscher Städtetag (2013). Beteiligungskultur in der integrierten Stadtentwicklung. Arbeitspapier der Arbeitsgruppe Bürgerbeteiligung des Deutschen Städtetages. Berlin/Köln. Und: Selle, Klaus (2019). Öffentlichkeitsbeteiligung in der Stadtentwicklung. Anstiftung zur Revision, vhw werkStadt Nr. 15, August 2019, Berlin (vhw).
2 vgl. auch: Klages, H. (2011). Bürgerhaushalte als Türöffner und Antrieb für eine neue Beteiligungskultur in den Kommunen. Die Zukunft der Bürgerbeteiligung. Herausforderungen, Trends, Projekte. Bonn: Verlag Stiftung Mitarbeit, 124-134.
3 vgl. bspw. Bertelsmann Stiftung (2009). Demokratie und Integration in Deutschland. Politische Führung und Partizipation aus Sicht von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Gütersloh. Oder: Klages, H., & Vetter, A. (2013). Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene: Perspektiven für eine Systematische und Verstetigte Gestaltung. Berlin.
4 ebd.
5 vgl. Allianz Vielfältige Demokratie (2019). Buergerbeteiligung in Kommunen verankern: Leitlinien, Mustersatzung und Praxisbeispiele für ein verlässliches Zusammenwirken von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft. Abrufbar unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Vielfaeltige_Demokratie_gestalten/Buergerbeteiligung_in_Kommunen_verankern.pdf (abgerufen am 16.05.2022). Sowie: Selle, Klaus (2019). Öffentlichkeitsbeteiligung in der Stadtentwicklung. Anstiftung zur Revision, vhw werkStadt Nr. 15, August 2019, Berlin (vhw). Sowie: Deutscher Städtetag (2013). Beteiligungskultur in der integrierten Stadtentwicklung. Arbeitspapier der Arbeitsgruppe Bürgerbeteiligung des Deutschen Städtetages. Berlin/Köln.
6 vgl. Klages, H., Daramus, C., & Masser, K. (2008). Das Bürgerpanel – Ein Weg zu breiter Bürgerbeteiligung. Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung. Und: Klages, H., & Vetter, A. (2013). Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene: Perspektiven für eine Systematische und Verstetigte Gestaltung. Berlin.
7 ebd.
8 Klages, H., Daramus, C., & Masser, K. (2008). Das Bürgerpanel – Ein Weg zu breiter Bürgerbeteiligung. Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, S. 33.
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