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Beteiligung als Motor nachhaltiger Mobilität: Wie das Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen Kommunen unterstützt

Das Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen ist bei der Hessen Trade & Invest GmbH angesiedelt und unterstützt im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum die hessischen Kommunen bei der Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Mobilitätspläne. Dabei fungiert es als Bindeglied zwischen Landesregierung und kommunalen Verwaltungen. Wie die Arbeit des Fachzentrums aussieht und welche Unterstützungsangebote es für Kommunen gibt, darüber haben wir mit Jan Stübner im Rahmen eines Online-Praxistalks gesprochen. Der Co-Leiter des Fachzentrums Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen bei der Hessen Trade & Invest GmbH hat dabei wertvolle Einblicke in die Bedeutung von Partizipation und Beteiligung in der kommunalen Mobilitätsplanung gegeben. Zugleich hat Jan Stübner nützliche Tools vorgestellt, die Kommunen innerhalb und außerhalb von Hessen bei der partizipativen Mobilitätsplanung unterstützen.

Drei Personen schieben ihre Fahrräder zum Bahnhof. Das Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen unterstützt Kommunen beim Ausbau der nachhaltigen Mobilität
© Elena Reck | Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen

Das Fachzentrum: Schnittstelle zwischen Land und Kommunen

Das Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen gibt es seit 2018. Ursprünglich unter dem Namen „Fachzentrum Nachhaltige Urbane Mobilität“ bekannt, wurde der Begriff „urban“ vor einigen Jahren bewusst aus dem Titel gestrichen, um auch kleinere und ländlichere Gemeinden besser anzusprechen. Das Fachzentrum orientiert sich eng an den europäischen Leitlinien für Sustainable Urban Mobility Plans (SUMP). Die Leitlinien wurden im Jahr 2013 erstmalig von der EU-Kommission veröffentlicht. Dabei legen sie besonders großen Wert auf einen strategischen Ansatz, um Erreichbarkeit und Lebensqualität zu verbessern. Im Gegensatz zur traditionellen Verkehrsplanung mit ihrem Fokus auf Verkehr, Technik und Infrastruktur verbindet die nachhaltige urbane Mobilitätsplanung die integrierte Entwicklung aller Verkehrsträger und stellt dabei den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt. Dabei steht nicht nur das fertige Planungsdokument im Fokus, sondern vor allem der begleitete Prozess von der Erarbeitung bis zur Umsetzung. Die umfangreiche Beteiligung von Bürger:innen und Stakeholdern ist somit ein wesentliches Merkmal eines solchen Prozesses.

Vier Bereiche der Unterstützung

Das Fachzentrum unterstützt hessische Kommunen in vier zentralen Bereichen:

1. Informieren: Das Fachzentrum stellt allgemeine Informationen, Planungsleitfäden und Broschüren zu aktuellen Themen und Entwicklungen in der kommunalen Mobilitätsplanung zur Verfügung.
2. Beraten: Das Fachzentrum begleitet und unterstützt Kommunen individuell mit verschiedenen Beratungsmöglichkeiten bei der Aufstellung und Umsetzung von nachhaltigen Mobilitätsplänen, etwa mit Coaching-Angeboten oder der Teilnahme an Fach- und Beiratssitzungen.
3. Vernetzen: Das Fachzentrum organisiert unterschiedliche Vernetzungsformate, um Kommune miteinander in Kontakt zu bringen, wie beispielsweise SUMP-Netzwerktreffen oder Runde Tische.
4. Ausbilden: Das Fachzentrum bietet ein Weiterbildungsangebot zur integrierten Mobilitätsplanung an, etwa mit dem Lehrgang „Mobilitätsplanung kompakt“.

SUMP-Poster – Urbaner Raum vom Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen; Illustration einer Stadt mit Abbildung der acht Prinzipien für nachhaltige städtische Mobilitätsplanung
SUMP-Poster – Urbaner Raum, © Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen (zum Vergrößern bitte anklilcken)

Beteiligung als zentraler Baustein für die nachhaltige Mobilitätsplanung

Im Praxistalk machte Jan Stübner deutlich: Beteiligung ist mehr als ein formales Element im Planungsprozess – sie ist ein zentrales Prinzip nachhaltiger Mobilitätsplanung. Das zeigt sich auch in den SUMP-Leitlinien der EU. Sie formulieren acht Grundsätze, die auf dem hier gezeigten SUMP-Poster sichtbar sind.

Bereits Prinzip drei betont die Einbeziehung von Bürger:innen und Interessenträger:innen während der gesamten Aufstellung und Umsetzung des Plans. Eine umfassende, breite Beteiligung trägt dazu bei, dass der SUMP legitimiert und seine Qualität verbessert wird. Es ist daher wichtig, Bürger:innen und Interessenträger:innen von Anfang an transparent und strukturiert in den Prozess miteinzubeziehen, etwa mithilfe einer eigenen Kommunikations- und Beteiligungsstrategie und verschiedenen Formaten für unterschiedliche Zielgruppen.

Der Methodenkoffer: Strukturierte Unterstützung für die Praxis

Um Kommunen bei der Suche nach den passenden Formaten zu unterstützen, hat das Fachzentrum einen Online-Methodenkoffer entwickelt. Er enthält eine digitale Sammlung erprobter Beteiligungsmethoden und ausgewählte Leitfäden für die Umsetzung in der Praxis. Mit einem Filtersystem können Nutzer:innen nach Ziel (z. B. informieren, konsultieren, zusammenarbeiten), Planungsphase, Aufwand, Budget und Teilnehmer:innenzahl filtern. So können beispielsweise auch kleinere Kommunen mit wenig Budget Inspirationen dazu finden, welche Beteiligungsformate sich für sie eignen könnten.

Ein Beispiel aus dem Methodenkoffer ist das Community Mapping: Dabei wird eine Karte in einem Raum ausgelegt oder aufgehängt, auf der Bürger:innen Orte markieren – etwa Angsträume, Staupunkte oder fehlende Übergänge. Die Methode bringt Bürger:innen in einen Austausch und kann der Verwaltung dabei helfen, einen ersten räumliche Überblick zu bestimmten Fragestellungen zu erhalten.

Wichtig für die Mobilitätsplanung: Datenlücken schließen

Seinem Informationsauftrag gerecht wird das Fachzentrum mit der kürzlich erschienenen Broschüre „Für wen planen wir? Datenlücken erfassen, Mobilität verbessern“. Die Broschüre nimmt die Datengrundlagen in den Blick, die für die kommunale Verkehrs- und Mobilitätsplanung wichtig sind. Sie sensibilisiert für die Frage, welche Gruppen bei Datenerhebungen und Planungen möglicherweise übersehen werden.

Stadt Kassel, Blick zur Wilhelmshöhe; viel befahrene Straße mit vielen Autos, Straßenbahnen in der Straßenmitte
Die Mobilitätsbedürfnisse und die damit einhergehende Wahl des Verkehrsmittels unterscheidet sich u.a. nach Geschlecht oder Einkommen. Das Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung macht auf diese Unterschiede aufmerksam und unterstützt Kommunen so bei der Planung. © Elena Reck | Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen

Anhand von Beispielen zeigt die Broschüre, wie sich Mobilitätsbedürfnisse unterscheiden – etwa nach Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand, Einkommen oder Bildung. Frauen zum Beispiel nutzen generell eher den öffentlichen Personennahverkehr und legen häufig komplexe Wegeketten zurück. Das bedeutet, sie reihen in ihrem Alltag kürzere Weg aneinander, zur Kinderbetreuung, für Versorgungsaufgaben oder als Begleitwege für ältere Angehörige. Männer hingegen bewegen sich tendenziell eher auf direktem Weg zur Arbeit hin und wieder zurück mit nur einem Verkehrsmittel. In vielen Datensätzen werden diese Wegeketten von Frauen nicht oder nur unzureichend abgebildet. Die Broschüre macht auf diese Unterschiede aufmerksam und zeigt „blinde Flecken“ in vermeintlich objektiven Daten auf.

Ein Highlight der Broschüre ist der spielerische Selbsttest am Ende: Acht Fragen fordern die Leser:innen heraus, über ihre eigenen blinden Flecken nachzudenken. In der Printversion lassen sich die Antworten mithilfe einer roten Lupe sichtbar machen. Die Broschüre schließt mit vier Empfehlungen: Nutzung vielfältiger, auch mehrsprachiger und barrierefreier Kommunikationskanäle, Bewusstseinsbildung innerhalb der Verwaltung, gezielte Dialogformate mit unterrepräsentierten Gruppen und die Entwicklung inklusiver Beteiligungssettings.

Ausblick: Projekte 2025

Im Praxistalk hat Jan Stübner auch einen kleinen Ausblick auf die weiteren Planungen des Fachzentrums gegeben. So sind für 2025 im Fachzentrum weitere Unterstützungsangebote geplant. Aktuell entstehen Musterlösungen für Ausschreibungstexte – etwa für Teilbereiche wie Beteiligungskonzepte oder Kommunikationsstrategien. Diese sollen Kommunen als Grundlage und Arbeitserleichterung dienen. Zudem startet im Mai der erste Durchgang des Lehrgangs „Mobilitätsplanung kompakt“, der mit der SUMP-Personalstellenförderung des Landes Hessen verknüpft ist. Ein weiteres Vorhaben ist die Entwicklung einer kompakten, praxisorientierten Version der SUMP-Leitlinien – insbesondere für kleinere Städte und Gemeinden, die sich nicht immer mit Großstadtbeispielen identifizieren können.

Fazit

Das Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen unterstützt Kommunen dabei, Mobilität ganzheitlich, nachhaltig und beteiligungsorientiert zu denken. Mit konkreten Angeboten wie dem Online-Methodenkoffer, praxisnahen Broschüren und einem wachsenden Schulungsangebot setzt es Impulse für eine zukunftsfähige Planungskultur in Hessen.

Den Online-Praxistalk mit Jan Stübner zur partizipativen Mobilitätsplanung finden Sie auf dem YouTube-Kanal der wer denkt was GmbH: Hier geht’s zum Video.

Screenshot vom Video des Online-Praxistalks zum Thema "Beteiligung als Motor nachhaltiger Mobilität"

Über Jan Stübner:

Jan Stübner ist Co-Leiter des Fachzentrums Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen. Er hat Geographie an der Universität Bonn (Abschluss: B.Sc.) sowie an der Universität Innsbruck (Abschluss: Master „Globaler Wandel und regionale Nachhaltigkeit“) studiert. Nach dem erfolgreichen Studium war er 3 Jahre bei der Stadt Mönchengladbach u.a. in der Stabsstelle Mobilitätsmanagement angestellt. Mit der Stadt Mönchengladbach hat er den European Mobility Week-Award 2020 und 2023 den 2. Platz beim Deutschen Fahrradpreis gewonnen. Im Sommer 2023 wechselte er nach Frankfurt und begann zunächst als Projektleiter beim Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen. Mittlerweile hat Jan Stübner, der in seiner Freizeit gerne Rennrad fährt, die Rolle des Co-Leiters des Fachzentrums übernommen.

Beitragsbild: © Elena Reck | Fachzentrum Nachhaltige Mobilitätsplanung Hessen