Im Jahr 2021 sind die BürgerInnen in vielen Städten und Gemeinden in Hessen und Niedersachsen zu Kommunalwahlen aufgerufen. In den Wahlprogrammen wird häufig die Rede davon sein, die BürgerInnen in Zukunft intensiver in Entscheidungen einzubinden. Ein dazu häufig formuliertes politisches Ziel – die Bürgerbeteiligung – fällt dabei auf fruchtbaren Boden. Denn ein Mehr an Beteiligung ist auch der Wunsch vieler BürgerInnen: Viele Menschen wollen nicht, dass kommunale Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Sie wollen in die Entscheidungen miteinbezogen werden und dabei den Entscheidungsträgern auf Augenhöhe begegnen.
Die Erwartungshaltungen an die Beteiligungsmaßnahmen sind auf beiden Seiten groß. Die politischen EntscheidungsträgerInnen erwarten konkrete und verwertbare Ergebnisse. Die BürgerInnen wollen Beteiligungsangebote, die möglichst einfach und ohne größeren Zeitaufwand wahrgenommen werden können. Diese Anspruchshaltungen auf beiden Seiten stellt die OrganisatorInnen von Beteiligungsmaßnahmen vor einige Herausforderungen. Denn das Mehr an Beteiligung aus den Wahlprogrammen bedeutet zusätzliche Partizipation, die über die bereits bestehenden gesetzlich verankerten Beteiligungsmöglichkeiten (wie etwa Öffentlichkeitsbeteiligung zu Bauleitplänen, Bürgerentscheide oder Bürgerbegehren) hinaus geht. Und im Gegensatz zu diesen festgeschriebenen Verfahren sind die Verfahrensabläufe bei den freiwilligen partizipativen Angeboten nicht vorgezeichnet.
Um freiwilliger Bürgerbeteiligung einen gemeinsamen Rahmen zu geben, werden auf Grundlage von Praxiserfahrungen die wichtigsten Herausforderungen in den drei grundlegenden Phasen von Bürgerbeteiligung – Information, Konsultation und Rechenschaft – identifiziert und beschrieben.
1. Phase: INFORMATION
Nur wenn sich BürgerInnen ausreichend über ein Themenfeld informieren können, kann gute Bürgerbeteiligung gelingen. Dabei sollten die Informationen verständlich aufbereitet sein und frühzeitig zur Verfügung stehen.
Für diese erste Informationsphase ist zu beachten, dass sich einige BürgerInnen erst dann für kommunalpolitische und städtebauliche Maßnahmen interessieren, wenn das Projekt öffentlich sichtbar wird, also bereits erste konkrete Planungen vorgenommen wurden. In dieser Phase wirkt das sogenannte „Beteiligungsparadoxon“: Je konkreter (und damit fortgeschrittener) ein Projekt zum Zeitpunkt der Information ist, desto höher ist das Interesse der BürgerInnen.
Das heißt aber auch: Frühzeitige Bürgerbeteiligung steht vor der Herausforderung, das Interesse zu wecken, solange noch ein gewisser Handlungsspielraum besteht. Und das setzt eine frühzeitige und umfassende Information voraus. Allerdings kann diese Information nur auf fruchtbaren Boden fallen, wenn ein grundlegendes Interesse geweckt ist. Hier sind kreative und teils ungewöhnliche Ideen gefragt:
Soll beispielsweise ein Bürgerhaus umgestaltet oder saniert werden, könnte dies z.B. ein großes Banner direkt am Gebäude sein, auf dem verschiedene plakative Ideen genannt sind und allen PassantInnen direkt ins Auge springen.
Das Beteiligungsparadoxon. © wer denkt was GmbH
Anschließend kann die erste Information z.B. über die klassischen Medien erfolgen, etwa durch einen Bericht in der Lokalzeitung. Auch Ankündigungen auf der städtischen Webseite und das Teilen von Ankündigungen in den sozialen Medien können viele Menschen erreichen. Am besten ist aber eine zentrale Möglichkeit, auf der sich alle Interessierten jederzeit über anstehende Projekte und Planungen informieren können bspw. eine Online-Plattform mit digitaler Vorhabenliste. Ein praktisches Beispiel für eine solche Vorhabenliste ist die Beteiligungsplattform DA-bei der Wissenschaftsstadt Darmstadt (https://da-bei.darmstadt.de/topic/vorhabenliste).
Zur frühzeitigen Information über ein Beteiligungsvorhaben – sei es nun die Umgestaltung eines öffentlichen Platzes, die Sanierung eines öffentlichen Gebäudes oder eine große Investition – gehört auch eine umfassende Information über die möglichen Formen, wie sich die BürgerInnen beteiligen können. Wenn eine Beteiligung geplant ist, müssen die BürgerInnen die grundsätzlichen Leitplanken der Beteiligung von Vornherein kennen, weshalb bereits vor der Informationsphase wichtige Fragen zum Verfahrensablauf geklärt sein sollten. Dazu gehören:
- Wo und wie können sich die BürgerInnen beteiligen.
- Wie läuft die Beteiligung grundsätzlich ab? Können beispielsweise eigene Ideen eingebracht werden oder sollen schon vorhandene Maßnahmen kommentiert werden?
- Wie wird mit Nachfragen oder kritischen Stellungnahmen der BürgerInnen umgegangen? Und daran anschließend: Wie und durch wen werden diese Nachfragen beantwortet?
- Was passiert mit Ideen, die aufgrund gesetzlicher Rahmenbedingungen nicht umsetzbar sind?
- Und als vielleicht wichtigste Frage: Wie wird mit den Eingaben der BürgerInnen nach Beendigung des Verfahrens umgegangen?
Zudem ist es essentiell, die Informationen über den Beteiligungsgegenstand in einer für die BürgerInnen verständlichen Sprache aufzubereiten. Insbesondere fachspezifische Ausdrücke bedürfen einer „Übersetzung“, so dass die Beteiligung nicht im Vorhinein auf Unverständnis stößt und dadurch in eine Sackgasse manövriert wird.
2. Phase: KONSULTATION
Ist durch frühzeitige und umfassende Information die Basis für eine erfolgreiche Beteiligung gelegt, kann der zweite Schritt erfolgen. In der Phase der Konsultation werden die Ideen, Anregungen und Kritiken der BürgerInnen gesammelt.
Dabei sind die Zeiträume, in der die Konsultation stattfindet, besonders wichtig. Insbesondere für Präsenzformate gilt es, durch vorausschauend gewählte Zeitfenster, möglichst vielen BürgerInnen die Teilnahme an den Veranstaltungen zu ermöglichen. Dabei sind die Ferienzeiten ebenso zu beachten wie typische Arbeitszeiten. Onlineverfahren bieten hier einen Vorteil, da sie weitestgehend zeit- und ortsunabhängig stattfinden können. Aber auch hier sollte der Zeitraum nicht zu kurz gewählt werden, um von positiven Effekte wie Presseberichterstattung und Mund-zu-Mund-Propaganda profitieren zu können.
Wird der Beteiligungszeitraum hingegen zu lang veranschlagt, kann sich dies auch negativ auswirken. Erfahrungsgemäß nimmt das Interesse mit der Zeit ab, sodass die Beteiligung Gefahr läuft den Eindruck zu erwecken, dass sie „im Sande verläuft“.
Während der Konsultation ist eine professionelle Moderation der Bürgerideen und ein festgelegter Rückkanal für Nachfragen, Antworten und Stellungnahmen sicherzustellen.
3. Phase: RECHENSCHAFT
Für einen erfolgreichen Abschluss eines Bürgerbeteiligungsverfahrens muss klar definiert sein, wie mit den Ergebnissen weiter umgegangen wird. Gute Bürgerbeteiligung braucht deshalb eine Rechenschaft seitens der politischen Verantwortlichen. Es reicht nicht, die Eingaben aus einem Beteiligungsprozess nur zur Kenntnis zu nehmen. Dringend notwendig ist eine echte Beschäftigung mit den gesammelten Sachargumenten und Stimmungsbildern. In der dritten Phase einer Bürgerbeteiligung – der Rechenschaft – wird deshalb dargelegt, wie die letztlich gültige Entscheidung auf Basis der Beteiligungsergebnisse zustande kam. Die Frage, von „wem“ die Entscheidung „warum“ getroffen wurde, ist dabei von zentraler Bedeutung. Dazu gehört immer eine Begründung der Entscheidung und – gegebenenfalls – auch eine Erklärung darüber, warum gewisse Vorschläge nicht umgesetzt werden können oder sollen.
Die OrganisatorInnen von Beteiligungsmaßnahmen müssen rechtzeitig konzipieren und festlegen, wie diese Rechenschaft konkret geleistet wird. Dabei sind ganz verschiedene Kommunikationswege denkbar, beispielsweise:
- Kommunikation über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung bzw. der Fachausschüsse, die sich fachlich mit den Eingaben der BürgerInnen befassen: Im Rahmen von Fragestunden, die vor den eigentlichen Sitzungen stattfinden, bekommen die BürgerInnen dabei direkte Rechenschaft von den EntscheidungsträgerInnen.
- Abschlussbericht zum Verfahren, in welchem detailliert festgehalten wird, was mit den Vorschlägen passiert ist oder noch passieren soll: Die Kommunikation kann beispielsweise durch eine E-Mail erfolgen, in der alle BürgerInnen, die sich eingebracht haben, über den Abschlussbericht informiert werden.
- Vorhabenlisten können einen leichten, schnellen und jederzeit verfügbaren Kommunikationskanal herstellen, über den der konkrete Umgang mit den Beteiligungsergebnissen an die BürgerInnen kommuniziert wird.
Eine ehrliche und qualitativ hochwertige Rechenschaft bestellt das Feld für die weitere Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft („Trialog“) und stärkt das Vertrauen zwischen den Akteuren. Wird die Rechenschaft aber nicht ernst genommen und beschränkt sich auf ein unverbindliches „Vielen Dank, wir nehmen das zur Kenntnis“, kann das Vertrauen nachhaltig zerstört werden.
Zusammenfassend gilt: Eine gute Bürgerbeteiligung braucht umfassende Informationen im Vorlauf, klare Spielregeln für den Ablauf und ehrliche Rechenschaft zum Abschluss. Werden die hier aufgeführten Grundregeln von den OrganisatorInnen einer Beteiligungsmaßnahme beachtet, ist der erste Grundstein für eine gute und erfolgreiche Bürgerbeteiligung gelegt.
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